Interview: Der US-Mediengründer, Trendforscher und Autor Alan Webber über die unheimliche Kraft der Veränderung in der Wirtschaft.
WirtschaftsBlatt:
Mit dem Schlagwort „Change” ist auch Barack Obama angetreten. Wie passieren Veränderungen?
Veränderungen passieren in der Regel nicht so, wie man sie erwartet. Veränderungen kommen überraschend, und zwar meist von unten und nicht von oben. Menschen glauben, dass Politiker für Veränderungen zuständig sind, dabei ist es die Aufgabe der Bürger. Viele dachten, Barack Obama würde Veränderung bringen. Tatsächlich hat die Tea Party-Bewegung die US-Politik verändert. Man muss mit diesen Menschen nicht einer Meinung sein, aber sie haben die politische Debatte transformiert.
Wie kann man das Wissen über Veränderung für den wirtschaftlichen Erfolg verwenden?
So paradox das klingen mag: Die gefährlichste Situation ist, wenn erst einmal Erfolg eingetreten ist und man sich wohlfühlt. Besser ist, wenn das Unbehagen da ist. Das hält wachsam. Der beste Weg, um sich unbehaglich zu fühlen, ist es, mit Kunden oder noch besser mit Ex-Kunden zu sprechen. Was wollen die Kunden wirklich? Warum kaufen sie etwa meine Zeitung nicht mehr? Meistens gilt: Je erfolgreicher man in der Vergangenheit war, desto gefährlicher wird es. Weil man in bewährten aber eingefahrenen Denkmustern gefangen ist. Und Veränderungen nicht mehr oder viel zu spät wahrnimmt.
Haben Sie hierfür ein Beispiel?
Sehen Sie sich die Entwicklung von General Motors an. Noch vor 30 Jahren war das Unternehmen so erfolgreich und mächtig, dass die US-Regierung es wegen zu großer Marktdominanz zerschlagen wollte. Vor zwei Jahren dann der Bankrott. Und warum? General Motors hat die geänderten Kundenwünsche verpasst. General Motors fehlten Ideen und Innovationen. Und General Motors wurde zum Opfer einer hungrigeren Konkurrenz, die qualitativ bessere Produkte verkaufte. Wer schläft, verliert, und General Motors hat geschlafen.
GM ging am Höhepunkt der Wirtschaftskrise in die Insolvenz. Was sind die Lehren aus der schlimmsten Krise seit Jahrzehnten?
Die Lehre ist leider, dass nicht die richtigen Schlüsse aus der Katas-trophe gezogen wurden. Die Weltwirtschaftskrise wurde leider verschwendet. Diese Krise war ein unnötiges Desaster. Wenn man sich die letzten 40 Jahre ansieht, hatten wir in jeder Dekade mindestens eine Krise. Die jüngste war nur die schlimmste von allen. Und all diese Krisen haben dieselbe Ursache: Das plutokratische System. Die Reichen werden immer reicher, und zwar auf Kosten der Armen.
Jetzt verwenden Sie das Argument aller Globalisierungskritiker.
Mit dem Unterschied, dass ich nicht gegen die Globalisierung bin. Genausowenig wie ich gegen die Schwerkraft bin. Das würde auch keinen Sinn ergeben. Fakt ist aber, dass die Schere zwischen Arm und Reich auseinandergeht. Besonders in den USA. Und diese wachsende Ungerechtigkeit lässt den sozialen Frieden erodieren. Ich will sozusagen nicht die Gravitation ändern, sondern die Auswirkungen der Gravitation. Reichtum ist ein Privileg — und das sollte auch Verpflichtungen nach sich ziehen, wie etwa höhere Steuersätze.
Kommen wir zurück zum Thema Veränderung. Was ist der wichtigste Wirtschaftstrend der kommenden Jahre?
Ich habe gerade auf Einladung der Academia Superior, der Gesellschaft für Zukunftsforschung, in Gmunden vor österreichischen Politikern und Wirtschaftsbossen über dieses Thema gesprochen. Um als Staat oder Unternehmen künftig erfolgreich zu sein, wird es essenziell sein, auf die junge Generation zu hören. Junge Menschen schaffen Veränderung. Sehen Sie sich die aktuellen Umbrüche in der arabischen Welt an. Diese werden nicht von religiösen Fundamentalisten getragen, sondern von jungen Menschen, die in einer besseren Welt leben wollen. Als Unternehmen heißt das: Setze dich auch mit der Kommunikation der jungen Menschen auseinander. Schau dir etwa Facebook oder ÂTwitter ganz genau an.
Apropos Facebook. Das Internet hat die Art, Medien zu konsumieren, revolutioniert. Stimmen Sie auch in den Abgesang von Print ein?
Nein, Papier wird es wohl immer geben. Aber die Balance wird sich noch stärker in Richtung elektronische Medien verschieben. Leider haben Medienunternehmen panisch auf die Entwicklungen reagiert. Weil die Menschen bloggen, sagen die Medienkonzerne: Wir müssen jetzt auch bloggen. Das ist aber genau die falsche Reaktion. Das richtige Rezept wäre gut gemachter, investigativer Journalismus. Dass jeder zu allem eine Meinung hat, wird bald zu einer Übersättigung führen. Dann ist man mit gut gemachtem Journalismus am besten für die Zukunft gerüstet.
Ihr jüngstes Buch trägt den Titel „The Global Detective”. Was macht eigentlich ein globaler Detektiv? Alan Webber: Ein globaler Detektiv fliegt um die Welt und spricht mit interessanten Leuten. Im Ernst: Ich schaue mir die Welt und ihre Geheimnisse an, vor allem in den Bereichen Wirtschaft und Innovation. Danach suche ich nach Hinweisen, mit deren Hilfe sich diese Geheimnisse entschlüsseln lassen. Mich interessieren Veränderungen.
Link zum Originalartikel: http://www.wirtschaftsblatt.at/home/international/wirtschaftspolitik/469268/index.do
Zur Person
Gründer von Fast Company, das erfolgreichste Wirtschaftsmagazin der USA
Autor des Buchse „Rules of Thumb”
Ehemaliger Herausgeber der Harvard Business Review
Seine Beiträge wurden in vielen Zeitungen und Magazinen veröffentlicht, z.B. der Los Angeles Times, The New York Times, The New York Times Sunday Magazine und The Washington Post
Link zur Homepage von Alan Webbers Buch Rules of Thumb www.rulesofthumbbook.com