„Die Alten haben es schwer, aber wir Junge sind auch ganz schön arm dran …”

Über die Zukun­ft des Wohlfahrtsstaates nachzu­denken und dabei Gen­er­a­tio­nen­gerechtigkeit kri­tisch zur Debat­te zu stellen, ist grund­sät­zlich eine gute Sache, meint die Sozial­wis­senschaf­terin Beate Großeg­ger, die seit Mitte der 1990er Jahre in der Jugend­forschung arbeit­et und das Insti­tut für Jugend­kul­tur­forschung in Wien leit­et, kür­zlich auf zukunftmitverantworten.org.

Die man­gel­nde Bere­itschaft, sich der vollen Kom­plex­ität des The­mas zu stellen, sowie eine auf die Anliegen der eige­nen Gen­er­a­tion verengte Per­spek­tive ste­hen ein­er sol­i­darischen Gen­er­a­tio­nen­poli­tik aber im Wege.

Generationengerechtigkeit, durch die Brille der Jugend betrachtet

Mit der Gen­er­a­tio­nen­gerechtigkeit ist es wie mit dem Umweltschutz – solange es um Ver­bal­bekun­dun­gen geht, find­en sich ganz ohne Mühe bre­ite Mehrheit­en: Sich ablehnend zu posi­tion­ieren, kann und will man sich nicht leis­ten, dafür zu sein, gehört sozusagen zum guten Ton. Anders als beim The­ma Umweltschutz, bei dem in den Köpfen der Men­schen konkrete Bilder auf­tauchen – von der Idylle unberührter Natur bis zum ganz banalen Müll­tren­nen – , bleibt der Begriff „Gen­er­a­tio­nen­gerechtigkeit“ abseits poli­tik­in­ter­essiert­er Eliten jedoch äußerst abstrakt und damit let­ztlich auch irgend­wie nebulös.

So passiert es, dass man (sog­ar) in einem Gespräch mit Studieren­den zu hören bekommt: „Gen­er­a­tio­nen­gerechtigkeit sagt mir eigentlich gar nichts – es ist ein altes Wort, ein Wort, das ältere Leute ver­wen­den.“ Fragt man nach, was dieses „alte Wort“ denn bedeute, gibt es dur­chaus verblüf­fende Antworten: etwa, dass Jün­gere und Ältere miteinan­der leben und dabei auch gut miteinan­der auskom­men, dass sich Jung und Alt wech­sel­seit­ig akzep­tieren und tolerieren oder dass Jün­gere gegenüber älteren Men­schen hil­fs­bere­it und höflich sind. Der Fokus liegt hier fernab der großen poli­tis­chen Bühne auf der Gen­er­a­tio­nen­beziehung, wie sie sich im zwis­chen­men­schlichen Kon­takt und nahen per­sön­lichen Umfeld darstellt. Assozi­a­tio­nen zur gesellschaftlichen Gen­er­a­tio­nenord­nung und dem auf Tauschgerechtigkeit basieren­den Sol­i­darprinzip des Gen­er­a­tio­nen­ver­trags, in dem staatliche Pen­sio­nen nach dem Umlagev­er­fahren geregelt sind und die aktiv Erwerb­stäti­gen durch laufende Ver­sicherungs­beiträge die Pen­sio­nen der Älteren finanzieren, drän­gen sich nicht auf.

Das mag auf den ersten Blick verblüf­fen, zeigen doch mehrere groß angelegte Jugend­stu­di­en in Übere­in­stim­mung, dass junge Men­schen in Bezug auf das staatliche Pen­sion­ssys­tem heute dur­chaus verun­sichert sind. Beispiel­sweise der vom öster­re­ichis­chen Jugend­min­is­teri­um in Auf­trag gegebene Jugend-Mon­i­tor 5. Zwei von drei Öster­re­ich­ern und Öster­re­icherin­nen im Alter von 14 bis 24 Jahren gaben im Rah­men dieser bun­desweit durchge­führten Umfrage an, davon auszuge­hen, dass sie von der Pen­sion, die sie später ein­mal bekom­men, nicht wer­den leben kön­nen. Oder die vierte öster­re­ichis­che Jugend-Wertes­tudie der zufolge drei Vier­tel der 14- bis 29-Jähri­gen glauben, dass ihre Gen­er­a­tion später deut­lich weniger Pen­sion bekom­men werde als die Pen­sion­is­ten und Pen­sion­istin­nen heute, und dass Jugendliche daher früh begin­nen müssten, sich um eine zusät­zliche pri­vate Altersvor­sorge zu küm­mern. Nur jed­er und jede Dritte der im Rah­men der vierten öster­re­ichis­chen Jugend-Wertes­tudie Befragten war der Mei­n­ung, dass das staatliche Pen­sion­ssys­tem trotz allem noch immer sicher­er als eine pri­vate Altersvor­sorge sei. Wobei man nicht ver­schweigen sollte, dass diese Gen­er­a­tion, der die diversen Spekulations‑, Banken- und Finanz­mark­t­skan­dale der let­zten Jahre noch in Erin­nerung ist, in pri­vater Pen­sionsvor­sorge freilich auch nicht die Ide­al­lö­sung sieht.

Aufhorchen lässt, dass sich vor allem junge Men­schen aus weniger priv­i­legierten Milieus mit ihren Exis­ten­zäng­sten allein gelassen fühlen. Fernab der bil­dungsna­hen Jugend sagt sich jed­er und jede Zweite: „Wir Junge müssen für uns selb­st sor­gen, uns hil­ft heute kein­er mehr“. Während die Medi­en­berichter­stat­tung mit Schlagzeilen wie „Die Gen­er­a­tion Y trägt die Kosten des Sozial­staates“ der all­ge­meinen Verun­sicherung ganz gerne noch etwas nach­legt, bleibt die Poli­tik, so hat man zumin­d­est den Ein­druck, Antworten schuldig. Und was machen die jun­gen Leute, um die es hier geht? Getrieben vom Bemühen um ihr per­sön­lich­es Fortkom­men hal­ten sie sich mit ihren dif­fusen Zukun­ft­säng­sten meist nicht weit­er auf. Sie jam­mern nicht und treten auch nicht mit unan­genehmen Fra­gen an die Öffentlichkeit, son­dern ver­drän­gen das Unbe­ha­gen, das sie ver­spüren, so gut sie können.

Warum ist das so? Ganz ein­fach: Meist fehlen Zeit und Energie, um sich an den großen poli­tis­chen Fra­gen abzuar­beit­en. Abge­se­hen davon stellen junge Men­schen zahlen­mäßig eine ver­gle­ich­sweise kleine Bevölkerungs­gruppe dar und sind daher eine poli­tisch eher mar­gin­al­isierte Größe. Kri­tik wie auch Ideen, die von junger Seite kom­men, wer­den in einem von Inter­essen und Macht­po­si­tio­nen der Älteren bes­timmten Sys­tem allzu oft bere­its im Keim erstickt oder zumin­d­est neu­tral­isiert, etwa durch pseu­do-dial­o­gori­en­tiertes Schönre­den, durch Ein­set­zen von Arbeits­grup­pen, die regelmäßig tagen und doch nichts bewirken, oder auch durch diverse Beteili­gungssand­kas­ten­spiele. Jugendliche über­set­zen diese Erfahrun­gen dann in ihren All­t­ag und sagen sich: „Es bringt eh nicht viel, wenn man poli­tisch ist.“

Eine nicht unbe­deu­tende Rolle spielt darüber hin­aus aber auch, dass junge Men­schen häu­fig das Gefühl haben, die Älteren ver­stün­den die Prob­leme der nachrück­enden Gen­er­a­tion nicht wirk­lich. Ältere Gen­er­a­tio­nen bew­erten die Gen­er­a­tio­nen­frage vor dem Hin­ter­grund sozial­staatlich­er Erfahrun­gen, die ihre eigene Jugend prägten und/oder die ihr bish­eriges Leben begleit­eten. Dies macht sie für die verän­derten Leben­sre­al­itäten, in denen die heutige Jugend aufwächst und die auch ihre Zukun­ft bes­tim­men wird, auf einem Auge blind. Zu nen­nen wären hier etwa neue Krisen­szenar­ien, die seit den späten Nuller­jahren die Poli­tik beschäfti­gen – von der Banken- und Finanz­markt- bis zur Euro- und Schuldenkrise – , bzw. der gesellschaftliche Diskurs rund um das Ende des Wirtschaftswach­s­tums (Sozi­olo­gen wie Ulrich Beck sprechen von einem „Fahrstuh­lef­fekt nach unten“ und weisen darauf hin, dass die heutige Jugend in materieller Hin­sicht nicht mehr erwarten darf als ihre Eltern­gener­a­tion, son­dern sich ver­mut­lich auf weniger ein­stellen muss; in der Poli­tik hat sich indessen das Vok­a­bel „Post­wach­s­tums­ge­sellschaft“ etabliert). Verän­derte Leben­sre­al­itäten resul­tieren aber auch aus der mit Migra­tionss­chüben und medi­alen Prozessen der kul­turellen Glob­al­isierung wach­senden Diver­sität der Lebensver­hält­nisse. In die Prax­is gewen­det, heißt das, dass zwar (fast) alle von den gle­ichen großen Fra­gen unser­er Zeit betrof­fen sind, dass sich poli­tis­che Lösun­gen aber den­noch nicht (mehr) so ein­fach auf einen gemein­samen Nen­ner brin­gen lassen, son­dern sozialmilieu‑, lebenswelt- und auch generationen(lagerung)sensitive Antworten gefragt sind.

Unter Experten und Exper­tin­nen gilt heute als unbe­strit­ten, dass die sozialpoli­tis­che Umset­zung des Gen­er­a­tio­nen­ver­trags zukün­ftig zu ein­er echt­en Her­aus­forderung wer­den kön­nte. Grund dafür sind der demographis­che Wan­del, der die Belas­tung der beitragszahlen­den erwerb­stäti­gen Bevölkerung angesichts der wach­senden Zahl an Pen­sion­sempfängern stetig erhöht, und ein tief­greifend­er Struk­tur­wan­del der Arbeitswelt, der dazu führt, dass unbe­fris­tete Voller­werb­sar­beit­splätze zunehmend rar wer­den und sich vor allem Jün­gere auf brüchige Berufs­bi­ogra­phien, in denen Erwerbs- und erwerb­slose Phasen wech­seln, ein­stellen müssen. Viele junge Men­schen haben bere­its heute Prob­leme, unmit­tel­bar nach der Aus­bil­dung in ein angemessen ent­lohntes, unbe­fris­tetes und arbeit­srechtlich geregeltes Erwerb­sver­hält­nis zu find­en. Betrof­fen sind nicht nur Ger­ingqual­i­fizierte, son­dern immer öfter auch junge Men­schen mit akademis­chen Abschlüssen. Man­gels Per­spek­tiv­en, aber auch „ange­fixt“ von gängi­gen Start-up-Erfol­gsmythen ver­sucht sich so manch­er von ihnen als „EPU“ und akzep­tiert damit, dass for­t­an gilt: „Pause machen geht nicht, son­st bist du arbeit­s­los und pleite“. Andere wiederum tendieren dazu, ihre per­sön­lichen Arbeits­mark­tchan­cen durch beru­fliche Mobil­ität zu verbessern. Aller Voraus­sicht nach wer­den wed­er die einen, noch die anderen diejeni­gen sein, die in eini­gen Jahren, wenn die eige­nen Eltern alt gewor­den sind, den Sozial­staat ent­las­ten wer­den, indem sie Ver­sorgungs- und Pflegear­beit, so gut wie möglich, selb­st leis­ten. Das sei hier nur neben­bei angemerkt.

Um es auf den Punkt zu brin­gen: Das The­ma „Gen­er­a­tio­nen­sol­i­dar­ität“ hat es wirk­lich in sich. Wie man es auch betra­chtet, die Gen­er­a­tio­nen­frage ist eng mit Fra­gen der Sozialpoli­tik, aber auch mit Arbeits­markt- und Wirtschaft­spoli­tik verknüpft. Die Her­aus­forderung, mit der wir uns kon­fron­tiert sehen, beste­ht darin, wohlfahrtsstaatliche Konzepte im Sinne des Ideals der Gen­er­a­tio­nen­gerechtigkeit an die sich verän­dern­den gesellschaftlichen und sozialen Rah­menbe­din­gun­gen anzu­passen. Schnelle und ein­fache Antworten kann und wird es nicht geben und den­noch gehört die Debat­te geführt, und zwar indem man die Kom­plex­ität der The­matik nicht ein­fach „wegre­det“, son­dern vielmehr das Best­mögliche tut, um dieser Kom­plex­ität gerecht zu werden.

Dazu gehört auch, die Frage zuzu­lassen, was Gen­er­a­tio­nen­sol­i­dar­ität für Men­schen an unter­schiedlichen sozialen Stan­dorten und in ver­schiede­nen Leben­sphasen konkret bedeutet, welche Her­aus­forderun­gen sie für die eigene wie auch für andere Gen­er­a­tio­nen sehen, was sie unter ein­er in Gen­er­a­tio­nen­fra­gen sozial gerecht­en Poli­tik ver­ste­hen und ob bzw. in welch­er Form sie sich vorstellen kön­nten, selb­st einen Beitrag zu Gen­er­a­tio­nen­gerechtigkeit zu leis­ten. Solange näm­lich nicht klar ist, welche Kon­se­quen­zen Gen­er­a­tio­nen­gerechtigkeit für uns alle im konkreten per­sön­lichen All­t­ag hat, wird Gen­er­a­tio­nen­gerechtigkeit nicht mehr sein als ein sich von Zeit zu Zeit zur schillern­den Seifen­blase auf­blähen­des Schlag­wort, das – wie vieles andere – poli­tisch kon­se­quen­z­los bleibt. In diesem Fall darf man sich dann nicht wun­dern, wenn jun­gen Leuten zum The­ma „Gen­er­a­tio­nen­gerechtigkeit” nicht viel mehr ein­fällt als: „Die Alten haben es schw­er, aber wir Junge sind auch ganz schön arm dran …“

Zur Person

Dr. Beate Großeg­ger ist wis­senschaftliche Lei­t­erin des Insti­tuts für Jugend­kul­tur­forschung. Ihre Arbeitss­chw­er­punk­te umfassen die Felder Soziale Exk­lu­sion, Jugend und Arbeitswelt, Jugend und Poli­tik, Jugend­kul­turen und Lifestyle. Sie ist eine der Exper­tin­nen, die im Rah­men von Zukun­ft 5.0 ihre Ideen ein­brin­gen und die Zukun­ft mitgestalten.