Die alternde Gesellschaft und die heiklen Fragen

Für­sorgear­beit, Pflege und der Struk­tur­wan­del in der Arbeitswelt müssen von Poli­tik und Forschung, vor dem Hin­ter­grund des demografis­chen Wan­dels, stärk­er beachtet wer­den, meint Beate Großeg­ger vom Insti­tut für Jugendkulturforschung.

Eine Politik der Zukunftschancen

Wer auf die Zukun­ft gut vor­bere­it­et sein will, muss die Entwick­lun­gen in der Gegen­wart studieren. Er muss den Blick auch auf so genan­nte „schwache Sig­nale“ richt­en, also auf Phänomene, die vor­erst noch als Nis­chen­phänomene erscheinen, früher oder später aber die bre­ite Mehrheit betr­e­f­fen wer­den. Und er muss sich vor allem fra­gen, was diese für die per­sön­lichen Zukun­ftschan­cen einzel­ner Bevölkerungs­grup­pen, aber auch für die Zukun­ft des Gemein­we­sens bedeuten.

Beobachtet man die Tage­spoli­tik, gewin­nt man den Ein­druck, dass hier noch Aufholbe­darf beste­ht. Es herrscht wohl auch eine gewisse Unsicher­heit, wie man mit Entwick­lun­gen, die man noch nicht ganz genau ein­schätzen kann, die aber poten­tiell prob­lema­tisch scheinen, umge­hen soll. In die Prax­is gewen­det heißt das dann: Man stellt sich den heiklen Fra­gen nicht, son­dern schiebt sie lieber vor sich her.

Unsere Stu­di­en zeigen, dass das übri­gens ein wesentlich­er Grund dafür ist, dass Jugendliche der insti­tu­tionellen Poli­tik häu­fig sehr skep­tisch bis dis­tanziert gegenüber­ste­hen. Ich denke, Oberöster­re­ich unter­schei­det sich dies­bezüglich nicht allzu sehr von Gesamtöster­re­ich oder unseren europäis­chen Nachbarländern.

Die „alternde Gesellschaft“ ist noch zu wenig am Radar

Ger­ade im Hin­blick auf die „alternde Gesellschaft“ gelingt es meines Eracht­ens derzeit noch unzure­ichend, die in einzel­nen Leben­sphasen, in unter­schiedlichen sozialen Milieus und nicht zu vergessen, in männlichen und weib­lichen Biogra­phien ganz unter­schiedlichen Kon­se­quen­zen, die der demographis­che Wan­del für den per­sön­lichen All­t­agsvol­lzug hat, angemessen zu fassen. Von Seit­en der Forschung bedarf es hier zukün­ftig sich­er eines noch dif­feren­ziert­eren Blicks und, ana­log dazu, von Seit­en der Poli­tik dif­feren­zierte Maß­nah­men für unter­schiedliche Betroffenheiten.

Die Schlüsselfragen: Fürsorgearbeit, Pflege und Arbeitswelt

Angesichts der Demogra­phieen­twick­lung sind zweifel­sohne Für­sorgear­beit und Pflege hoch brisante The­men und sich­er auch eine Schlüs­sel­frage im Hin­blick auf die Zukun­ft­skom­pe­tenz eines Lan­des. Ich sehe es daher als drin­gend wün­schenswert, dass die fam­i­lien­poli­tis­che Debat­te zukün­ftig etwas weniger ein­seit­ig um Vere­in­barkeit von Fam­i­lien­grün­dung und Beruf kreist, son­dern auch die Fam­i­lien­ar­beit in Rich­tung betagter Eltern gese­hen wird.

Wichtig scheint mir hier allerd­ings zu beto­nen, dass es auf poli­tis­ch­er Ebene wie auch im gesellschaft­spoli­tis­chen Diskurs nicht darum gehen kann, einzelne Prob­lem­bere­iche gegeneinan­der auszus­pie­len. Das heißt, es braucht unter­stützende Maß­nah­men für diejeni­gen, die eine eigene Fam­i­lie grün­den wollen, für Frauen, die Kind und Beruf möglichst gut unter einen Hut brin­gen möcht­en, und auch für alle jene, die den Anspruch haben, für ihre alten, pflegebedürfti­gen Eltern Für­sorge- und Pflegear­beit zu leisten.

Let­zteres dürfte sich angesichts des umfassenden Struk­tur­wan­dels der Arbeitswelt, der vor allem den höher qual­i­fizierten jun­gen Men­schen ein enormes Maß an Mobil­ität und Flex­i­bil­ität abver­langt, in Zukun­ft zu ein­er echt­en Her­aus­forderung werden.

Man sollte aufhören, die sich verän­dern­den Erwerb­sre­al­itäten immer nur schönzure­den, und stattdessen nach deren Kon­se­quen­zen für die Lebens- und Zukun­ft­s­pla­nung der nachrück­enden Gen­er­a­tio­nen fra­gen. Und man muss sich natür­lich auch inten­siv mit dem Gen­er­a­tio­nen­ver­trag bzw. der Sicherung des staatlichen Pen­sion­ssys­tems beschäfti­gen. Hier ist seit­ens der Poli­tik ja bere­its wach­sendes Prob­lem­be­wusst­sein zu erken­nen, junge Men­schen sind den­noch in hohem Maße verun­sichert und fra­gen sich, wie sich für ihre Gen­er­a­tion „das mit staatlichen Pen­sio­nen aus­ge­hen soll“. Selb­stver­ständlich haben auch sie den Anspruch, im Ruh­e­s­tand vor Alter­sar­mut geschützt zu sein.

Von Seit­en der Forschung wäre dabei wün­schenswert, dass neue oder zumin­d­est bis­lang kaum disku­tierte Fra­gen in die Debat­te einge­bracht wer­den. Darüber hin­aus müssen, neben objek­tiv­en Fak­toren, auch die sub­jek­tiv­en Per­spek­tiv­en Betrof­fen­er stärk­er Berück­sich­ti­gung find­en. Ziel sollte sein, Grund­la­gen für poli­tis­che Maß­nah­men­pla­nung zu schaf­fen und auch die bre­ite Öffentlichkeit für das The­ma zu sensibilisieren.

Blockaden ausloten – Mögliches umsetzen

In der Zukun­fts­de­bat­te geht es gar nicht so sehr darum, sich alle Hemm­nisse und Block­aden wegzu­denken, son­dern vielmehr darum, Hemm­nisse und Block­aden auszu­loten und aus­ge­hend von einem Wis­sen um diese Hemm­nisse und Block­aden zu über­legen, was auf poli­tis­ch­er Ebene für die von den gesellschaftlichen Entwick­lun­gen aller Wahrschein­lichkeit nach neg­a­tiv betrof­fe­nen Bevölkerungs­grup­pen getan wer­den muss und kann. Da sich Betrof­fene von Poli­tik­ern und Poli­tik­erin­nen Unter­stützung im Lebensvol­lzug erwarten, ist hier ein­mal mehr die Poli­tik am Zug.

Da spielt aber zweifel­sohne vieles zusammen:
Zum einen zeigt die poli­tis­che Debat­te – wie bei vielem anderen auch – in Zukun­fts­fra­gen häu­fig eine bek­lem­mende ide­ol­o­gis­che Enge und wid­met sich, getrieben durch die Zwänge des poli­tis­chen Tages­geschäftes, oft eher ein­er inter­es­sen­grup­pen­be­zo­ge­nen „Kurzfrist­poli­tik“ als der Entwick­lung tragfähiger Zukunftsstrategien.

Zweit­ens wirkt die Kom­plex­ität des The­mas abschreck­end: Man hat Angst zu scheit­ern und zugle­ich nicht den Mut, eine Poli­tik der kleinen Schritte zu gehen.

Drit­tens ste­hen die Verdich­tung der Anforderun­gen und der per­ma­nente Zeit­man­gel, dem wir alle unter­liegen, ein­er reflek­tierten Debat­te grund­sät­zlich entgegen.

Und darüber hin­aus beobacht­en wir von Seit­en der Jugend­forschung viertens auch ein gewiss­es „Mis­match­ing“ der Gen­er­a­tio­nen­per­spek­tiv­en, ger­ade dort, wo es um die Zukun­ft der heuti­gen Jugend geht. Das heißt, die Älteren sind gegenüber den Her­aus­forderun­gen, die der soziale Wan­del mit sich bringt und mit denen junge Men­schen in Zukun­ft noch stärk­er als heute kon­fron­tiert sein wer­den, vielfach schlichtweg auf einem Auge blind.

Dies wären Punk­te, wo man, wenn man die Zukun­fts­fähigkeit unser­er Gesellschaft verbessern will, anset­zen müsste – und zwar ide­al­er­weise schnell, sprich: heute, nicht erst mor­gen oder übermorgen.

Zur Person

Dr. Beate Großeg­ger ist wis­senschaftliche Lei­t­erin des Insti­tuts für Jugend­kul­tur­forschung. Ihre Arbeitss­chw­er­punk­te umfassen die Felder Soziale Exk­lu­sion, Jugend und Arbeitswelt, Jugend und Poli­tik, Jugend­kul­turen und Lifestyle. Sie ist eine der Exper­tin­nen, die im Rah­men von Zukun­ft 5.0 ihre Ideen ein­brin­gen und die Zukun­ft mitgestalten.

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