Die Aushöhlung des Leistungsprinzips

Im Grund­satz stim­men sich­er die meis­ten Men­schen in unser­er Gesellschaft dem Pos­tu­lat zu: Leis­tung muss sich lohnen! Wer sich anstrengt, soll Anerken­nung ern­ten: oft materiell, aber nicht nur. Nicht alle Leis­tun­gen kön­nen sich finanziell auszahlen. Doch wenn die Chan­cen auf indi­vidu­ellen Mehrw­ert über­wiegen, motivieren sie zum eige­nen Engage­ment. Viele Eltern küm­mern sich schon zeit­ig um frühkindliche Bil­dungs­förderung. Sie ermöglichen ihren Kindern eine möglichst qual­i­fizierte Schul­lauf­bahn, ein Studi­um oder eine Fachar­beit­er­aus­bil­dung. Auch die Meta­pher vom lebenslan­gen Ler­nen ste­ht für eine Hal­tung, die aus dem Leis­tungs­gedanken resultiert.

Doch das Leis­tung­sprinzip, das sozialen Auf­stiegs ver­spricht, wenn man sich nur genü­gend bemüht, wird immer stärk­er aus­ge­höhlt. Das gilt für den per­sön­lichen Lebens­bere­ich, aber auch bei der Aus­gestal­tung der poli­tis­chen Rah­menbe­din­gun­gen. Der Prozess läuft seit Jahrzehn­ten, erst unmerk­lich und dann immer spür­bar­er. Je mehr der Staat seine sozialen Leis­tun­gen ausweit­et, desto stärk­er hat er die Men­schen mit Steuern und Abgaben belastet. Vor allem der Fak­tor Arbeit ist der Zahlmeis­ter unseres Sozial­staats. Die Steuer­sätze und Sozial­ab­gaben, die heute einem ledi­gen Meis­ter oder einem jun­gen Akademik­er vom Staat in Rech­nung gestellt wer­den, verspot­ten den Leis­tungs­gedanken. Der Leis­tungs­bere­ite zahlt, obwohl er objek­tiv immer weniger Net­to vom Brut­to hat. Und gle­ichzeit­ig ali­men­tiert er einen Sozial­staat, der Men­schen dazu ver­leit­en kann, sich im Sys­tem staatlich­er Trans­fer­einkom­men einzuricht­en. Wie „attrak­tiv” der deutsche Sozial­staat ist, belegt auch die Zuwan­derung von Ger­ingqual­i­fizierten aus osteu­ropäis­chen EU-Staaten.

Doch das Leis­tung­sprinzip wird auch sehr grund­sät­zlich dadurch in Frage gestellt, dass wir eine schi­er unglaubliche Bevorzu­gung des Fak­tors Kap­i­tal schein­bar kla­g­los akzep­tieren. Im Steuer­recht sind Einkün­fte aus Kap­i­talver­mö­gen unver­schämt priv­i­legiert. Bei der Erb­schaft­s­teuer gilt in Deutsch­land der Grund­satz: Je höher die Erb­masse, desto geringer die Steuer­last für das „leis­tungslose Einkom­men” der Erben. Die Abgel­tungss­teuer für Kap­i­talerträge ist für mich ein klar­er Ver­stoß gegen das Gle­ich­heits­ge­bot und wider­spricht diame­tral der Besteuerung nach der indi­vidu­ellen Leis­tungs­fähigkeit. Wenn der Staat weit­er Kap­i­tal und Arbeit so ungle­ich behan­delt, wächst nicht nur die Schere zwis­chen den Einkun­ft­sarten. Nein, wir wer­den im Zuge der Dig­i­tal­isierung der Indus­trie erleben kön­nen, was wir bere­its in den Siebziger Jahren — damals allerd­ings bei den Hil­f­sar­beit­ern — massen­haft erlebten: Sie wur­den wegra­tional­isiert, weil Maschi­nen bil­liger waren als die durch das „Wegstreiken” der unteren Lohn­grup­pen teuer gewor­dene men­schliche Arbeit­skraft. Je teur­er in der dig­i­tal­en Welt die akademis­che und Meis­ter-Fachkraft wird, weil der Staat sie als Finanzierungsquelle weit­er unge­niert schröpft, desto mehr lohnt sich deren Ersatz durch Hochleis­tung­stech­nik. Das dafür notwendi­ge Kap­i­tal ist reich­lich vorhan­den, weil es sich wegen sein­er staatlichen Priv­i­legierung über­durch­schnit­tlich vermehrt.

Ich will den Bogen noch weit­er span­nen. Was die Zen­tral­banken dieser Welt inzwis­chen prak­tizieren, ist nichts anderes als ein fun­da­men­taler Angriff auf das Leis­tung­sprinzip. Sie bestrafen mit ihrer Nul­lzin­spoli­tik die Spar­er und das, obwohl Vor­sorge angesichts der Risiken älter wer­den­der Gesellschaften dringlich­er denn je wäre. Sie schaf­fen den Zins als Leis­tungs­maßstab für die Bew­er­tung guter oder schlechter Risiken ab. Und sie pushen mit ihrer Liq­uid­itätss­chwemme die Aktienkurse auf Reko­rd­niveaus, als ob real­wirtschaftliche Leis­tun­gen für die Unternehmens­be­w­er­tung keine Rolle mehr spielten.

Wir unter­minieren im täglichen Mikrokos­mos und in der Makroökonomie fun­da­men­tale Ord­nung­sprinzip­i­en. Das Leis­tung­sprinzip ist essen­tiell. Wer es aushöhlt, zer­stört indi­vidu­elle Wertschätzung und gesellschaftliche Wohlfahrt.

Zum Autor

Oswald Met­zger, Jahrgang 1954, Pub­lizist und poli­tis­ch­er Quer­denker, Ravensburg