Uner­wartete poli­tis­che Entschei­dun­gen, die Schwächung der Europäis­chen Union durch den Brex­it, die schein­bare Unlös­barkeit religiös­er und welt­poli­tis­ch­er Kon­flik­te, ter­ror­is­tis­che Bedro­hun­gen und eine pop­ulis­tisch ange­heizte Ver­trauen­skrise in beste­hende Sys­teme stellen die Welt vor ungeah­nte Herausforderungen.

Obwohl wir heute mehr messen, überwachen und kon­trol­lieren kön­nen als je zuvor, sind wir mit zunehmender Unberechen­barkeit, Unsicher­heit, Angst und Ori­en­tierungslosigkeit kon­fron­tiert. Ist alles außer Kontrolle?

Beim 7. SURPRISE FACTORS SYMPOSIUM disku­tierten außergewöhn­liche Per­sön­lichkeit­en über Kon­trolle und Nor­mal­ität in Krisen­ge­bi­eten, über die Beweg­gründe für den Brex­it und was wir daraus ler­nen kön­nen, über Medi­en­frei­heit und eine Ver­schiebung von Kon­trollmech­a­nis­men in den Sozialen Medi­en und vieles mehr. Denn schließlich ging es um die Frage nach Möglichkeit­en, wie wir Zuver­sicht und Kon­trolle für unsere Zukun­ft gewin­nen kön­nen und welche Lehren wir daraus für Oberöster­re­ich ziehen.

Fotos als Brücken in andere Kulturen

Andrea Bruce ist als Doku­men­tar- und Kriegs­fo­tografin in den Krisen­ge­bi­eten dieser Welt unter­wegs, um den Men­schen das Leben und das Leid ander­er näher zu bringen.

i often feel like I have to trick peo­ple into pay­ing atten­tion to the world.

Ger­ade in Kriegs­ge­bi­eten beschreibt sie eine selt­sam anmu­tende Nor­mal­ität der Betrof­fe­nen, die trotz Bombe­nan­grif­f­en jeden Tag die Kraft find­en, aufzuste­hen und von neuem ihr Leben entsprechend der Rah­menbe­din­gun­gen zu gestal­ten. Eine solche Lebenswirk­lichkeit an Men­schen in west­lichen Län­dern zu kom­mu­nizieren, wo Frieden und eine ganz andere Kul­tur herrscht, ist das Anliegen ihrer vielfach aus­geze­ich­neten und weit pub­lizierten Fotos.

It seems so sim­ple but it’s so hard to get peo­ple to pay attention.

Was ist eigentlich Demokratie?

In ihrem aktuellen Pro­jekt beschäftigt sich Bruce mit der Frage, was Men­schen unter Demokratie ver­ste­hen. Ganz bewusst bewegt sie sich dafür in kleinen, armen Regio­nen Amerikas und beobachtet und befragt die Men­schen, wie sie Demokratie in ihren Gemein­schaften leben und was sie für sie bedeutet.

Ein Fotoprojekt für mehr Empathie

Ger­ade in ges­pal­te­nen Gesellschaften, die wir zunehmend auch in den west­lichen Län­dern vorfind­en, kön­nen Fotos Gräben zwis­chen unter­schiedlichen Lebenswirk­lichkeit­en und Erfahrungswel­ten schließen. Empathie zu erzeu­gen ist der Schlüs­sel zum Erfolg, um das Ver­ständ­nis für andere zu stärken, den Prob­le­men auf den Grund zu gehen und Gemein­samkeit­en in den Vorder­grund zu rück­en: das Men­schliche, das uns alle verbindet, unab­hängig von Kul­turen und Reli­gio­nen, poli­tis­chen Ein­stel­lun­gen, dem Bil­dungs­stand oder Einkom­men. Fotos kön­nen den Dia­log dazu anre­gen und ver­mit­teln, wie klein und ver­flocht­en die Welt und die Men­schen sind.

Mehr oder weniger Kontrolle?

Kon­trol­lver­lust und Chaos sind nicht notwendi­ger Weise etwas Schlecht­es. In manchen Bere­ichen sind sie gar Voraus­set­zung dafür, dass Neues ent­deckt wer­den kann und Inno­va­tio­nen entste­hen. Mit Ungewis­sem und Chao­tis­chem umzuge­hen zu kön­nen, sieht Andrea Bruce als eine zen­trale Grund­vo­raus­set­zung für junge Men­schen in unser­er schnel­llebi­gen und tur­bu­len­ten Zeit.

It’s okay to be faced with some­thing that is total­ly chaot­ic. It’s prob­lem solving.

Worauf es als Kriegs­fo­tografin ankommt, was Nor­mal­ität in Kriegs­ge­bi­eten bedeutet und warum nicht alles kon­trol­liert wer­den kann, erk­lärt Andrea Bruce in diesem Statement.

Was wir vom Brexit lernen können

Bri­an Grif­fiths befür­wortet den Brex­it. 1975 war er noch für den Verbleib Großbri­tan­niens in der Europäis­chen Wirtschafts­ge­mein­schaft. Damals war die EG dynamisch und agil. Sei­ther hat sich viel geän­dert und speziell mit der Geset­zge­bung und den vie­len Vorschriften sind die Briten nicht mehr zufrieden.

Frankly, Britain’s mem­ber­ship in the EU, 43 years, has nev­er been the hap­pi­est of marriages.

Den Brex­it in Großbri­tan­nien und die Wahl Don­ald Trumps in Ameri­ka sieht Grif­fiths auch als Protest des kleinen Mannes, der vie­len Arbeit­er, die nicht von der Glob­al­isierung prof­i­tieren, die an Realeinkom­men ver­loren haben und angesichts der Dig­i­tal­isierung und Verän­derun­gen am Arbeits­markt um ihre Zukun­ft ban­gen müssen. Sie wer­den von den etablierten Parteien und Poli­tik­ern nicht gehört und fühlen sich unver­standen. Protest­wahlen ver­schaf­fen ihnen wieder Gehör. Haben wir in den let­zten Jahren zu viel in uni­ver­sitäre Aus­bil­dung gesteckt und dabei dem wichti­gen Bere­ich der Fachar­beit und den Lehren zu wenig Augen­merk geschenkt und damit diesen Men­schen das Gefühl gegeben, sie mit ihren Sor­gen und Äng­sten alleine zu lassen?

Auf der Suche nach Gemeinschaft

Grif­fiths ortet, dass viele Men­schen heute auf der Suche nach Gemein­schaft sind, denn die Gesellschaft ist in den let­zten Jahren zunehmend indi­vid­u­al­isiert und deshalb zer­split­tert. Auch die ganze mod­erne Ökonomie basiert auf dem Indi­vidu­um und rückt nicht die Gesellschaft in den Vordergrund.

I think our soci­ety has become much too individualistic.

In Entschei­dun­gen wie der für den Brex­it find­en sich deshalb auch Ele­mente der Iden­titätssuche und eines Patri­o­tismus wieder. Denn das Pro­jekt, eine gemein­same Europäis­che Iden­tität zu schaf­fen, ein Herz und eine Seele, ist noch nicht gelungen.

Wünsche für eine erfolgreiche Zukunft Europas

Der ein­flussre­iche Ökonom und Poli­tik­er macht klar, dass Eng­land nicht gegen die EU ist, son­dern sie in ihrer derzeit­i­gen Form als nicht zukun­fts­fähig und nach­haltig ein­schätzt. Es fehlen Flex­i­bil­ität und Dynamik. Auch wenn Großbri­tan­nien selb­st nicht mehr Teil der EU sein will, wün­scht es sich Europa als guten, starken Partner.

Britain is not anti-Europe. If we are anti-any­thing, we are anti-Brussels.

Zwischen Deregulierung und Staatsgewalt

Eine Fir­ma zu grün­den muss ein­fach und gün­stig sein. So kön­nen Inno­va­tio­nen und Unternehmergeist in ein­er Gemein­schaft flo­ri­eren und neue Arbeit­splätze geschaf­fen wer­den. Hier ist jede Dereg­ulierung willkom­men. Kri­tis­ch­er sieht der Brite die allzu große Pri­vatisierungs- und Dereg­ulierung­sof­fen­sive manch­er staatlich­er Betriebe und Insti­tu­tio­nen, wie sie etwa in Großbri­tan­nien unter Mar­garet Thatch­er vor­angetrieben wur­den. Denn dadurch ist für den Staat auch viel gestal­ter­isch­er und gesellschaftlich­er Hand­lungsspiel­raum ver­loren gegangen.

Vom Wohlfahrtsstaat zur Wohlfahrtsgemeinschaft

Gemein­schaft ist wichtig und viele Auf­gaben, die früher etwa Gemein­den oder aber auch Gew­erkschaften über­nom­men haben, sind mit­tler­weile in den Kom­pe­tenzbere­ich des Staates gewan­dert. Hier ortet Grif­fiths eine Tren­dumkehr, zurück zu mehr Ver­ant­wor­tung in den Gemeinschaften.

„The wel­fare state has to trans­form to a wel­fare society.”

Über das Gle­ichgewicht von Dereg­ulierung, Frei­heit, Unternehmer­tum macht sich Lord Bri­an Grif­fiths in einem State­ment Gedanken. Ihm geht es um die Fra­gen, welche Rah­menbe­din­gun­gen freie Märk­te brauchen, wo man in der Aus­bil­dung anset­zen muss, damit nie­mand auf der Strecke bleibt, und welche Gefahren mit allzu weitre­ichen­der Dereg­ulierung und Pri­vatisierung einhergehen.

Die Disruption der Medien

Der bekan­nte deutsche Medi­en­mach­er Kai Diek­mann ist überzeugt, dass die Ära der Print­me­di­en vor­bei ist. Die Erfol­gs­geschichte der Medi­en nimmt angesichts der Dig­i­tal­isierung und damit ein­herge­hen­der Dema­te­ri­al­isierung eine ras­ante Wende und fordert alle etablierten Geschäftsmod­elle im Bere­ich der Nachricht­en mas­siv heraus.

Media have been dis­rupt­ed. The way we used to do our busi­ness for decades doesn’t work anymore.

Jedes Medium hat seinen Meister

Die Geschichte zeigt: Wer den Umgang mit Medi­en per­fekt beherrscht, gewin­nt. So hat jedes Medi­um seinen Meis­ter: Roo­sevelt war der Meis­ter des Radios, Kennedy hat im Fernse­hen gepunk­tet und ganz offen­sichtlich weiß Don­ald Trump mit Twit­ter Mei­n­ung zu machen.

Die tra­di­tionellen Nachricht­en­me­di­en haben damit ihre wichtig­ste Berech­ti­gung als Agen­da-Set­ter und Gate­keep­er ver­loren. Sie haben die Kon­trolle über Kon­ver­sa­tio­nen und ihr Geschäftsmod­ell verloren.

Der eigene blinde Fleck

Dabei ist es para­dox: Es ist Auf­gabe und Kernkom­pe­tenz des Jour­nal­is­mus, neugierig zu sein und neue Trends aufzus­püren. Jahre­lang haben sie berichtet über Dis­rup­tio­nen in der Reise­branche, in der Unter­hal­tungs­branche, in der Musik­branche, in der Indus­trie, in der Gesellschaft, in der Poli­tik. Nur die Verän­derun­gen der eige­nen Branche hat man überse­hen. Gewohn­heit­en sitzen auch hier tief und jegliche Weit­er­en­twick­lung oder Bewe­gung wird zunächst abgelehnt.

Wer kontrolliert die digitalen Medien?

Diek­mann erzählt von der beleben­den Konkur­renz in der deutschen Zeitungswelt, wo Süd­deutsche, Frank­furter, Spiegel, Stern und Bild sich gegen­seit­ig beobachteten und ein­brem­sten, wenn ein­er über die Stränge schlug. Es gab ein gegen­seit­iges „checks and bal­ances“ Sys­tem. In der dig­i­tal­en Welt fehlt dies gän­zlich. Einige große Fir­men wie Face­book, Twit­ter, Apple oder Ama­zon kon­trol­lieren den News­feed und wie Infor­ma­tion ver­bre­it­et wird. Doch sie und ihre Algo­rith­men wer­den von nie­man­dem kontrolliert.

I think the new media sit­u­a­tion today is prob­a­bly much more out of con­trol than in the good old days.

Das Donut Problem

Fir­men wie Face­book ver­fol­gen ein einziges Ziel: Den User so lange wie möglich auf der Seite zu hal­ten, dadurch möglichst viele Infor­ma­tio­nen über ihn zu sam­meln um dann maßgeschnei­derte Wer­beange­bote verkaufen zu kön­nen. Dieses Geschäftsmod­ell funk­tion­iert per­fekt. Es hat jedoch zur Folge, dass die Algo­rith­men eines News­feeds darauf abges­timmt sind, einem User jene Inhalte zu zeigen, die ihn inter­essieren. Das Donut Prob­lem beschreibt, dass man immer mehr Donuts bekommt, wenn man Donuts mag. Das führt zu Fil­terblasen und ein­er Verz­er­rung der Wahrnehmung.

They rec­og­nize that I like donuts and so they give me more donuts. And this is how it cre­ates an echo cham­ber, this is why I stay in my own bub­ble and only will find opin­ions and top­ics that are around me.

Diversität und Neues als Chance begreifen

Kai Diek­mann sieht die Stärke der EU in ihrer Vielfalt. Man muss über Emo­tio­nen die Men­schen zusam­men­brin­gen und gle­ichzeit­ig Region­al­ität und Diver­sität erhal­ten und feiern. Das ist die große Chance der EU: Leute zusam­men­zubrin­gen. Und das nicht obwohl, son­dern weil sie so ver­schieden sind. Die näch­ste große Chance, die auf uns zukom­men wird, ist Arti­fi­cial Intelligence.

Kai Diek­mann spricht in einem State­ment über die Ver­trauen­skrisen in die Medi­en, die Her­aus­forderung dig­i­taler Medi­en und seine wichtig­sten Erken­nt­nisse aus dem Sil­i­con Val­ley: Offen­heit für Veränderung.

Kontrolle ist Illusion

Paul Lend­vai ver­ste­ht sich selb­st als melan­cholis­ch­er Real­ist. In dem State­ment zeigt er, wie die Geschichte von Per­sön­lichkeit­en und Über­raschun­gen geprägt ist und erk­lärt, warum sie keine Gebrauch­san­weisung für kün­ftige Her­aus­forderun­gen ist. Man muss mit der Unberechen­barkeit rechnen.

Die Anliegen der Young Academia

Dass Medi­en so sehr auf Neg­a­tives abges­timmt sind und speziell den jun­gen Men­schen das Werkzeug fehlt, um Medi­en­mel­dun­gen richtig einord­nen zu kön­nen, kri­tisierten die vier Teil­nehmerin­nen und Teil­nehmer der Young Acad­e­mia, die sich am let­zten Tag in die Diskus­sio­nen ein­bracht­en. Was den Men­schen heute generell fehlt, ist die Urteil­skraft und der Sinn für Verhältnisse.

Fazit: Ist alles außer Kontrolle? Fünf Gedanken über nächste Schritte

  1. Wir leben in ein­er Bub­ble-World, wo sich jed­er in sein­er eige­nen Blase befind­et und davon aus­ge­ht, dass die der anderen gle­ich ist. Ist sie aber nicht. Das ist ein gefährlich­es Phänomen und es wächst und führt let­ztlich zu mehr Spal­tung. So ver­ler­nen die Men­schen, miteinan­der zu kom­mu­nizieren und sich auch inhaltlich aneinan­der zu reiben. Denn sie begeg­nen sich nicht mehr. Wie kann man diese Blasen zum Platzen brin­gen und Men­schen mit unter­schiedlichen Mei­n­un­gen zusammenbringen?
  2. Was bedeutet Demokratie in unser­er Gesellschaft und für die Men­schen, die sie zusam­men­hält? Wenn man die unter­schiedlichen Facetten ein­er Demokratie fotografisch erfassen kann und dadurch den Dia­log über das Grund­ver­ständ­nis unseres Zusam­men­lebens fördert, kön­nte ein neues Ver­ständ­nis für Gemein­schaft entstehen.
  3. Echte Dialoge sind sel­ten gewor­den: In der Gesellschaft, in der Poli­tik, in der Wirtschaft. Anstatt einan­der zuzuhören, redet man aufeinan­der ein. Auch der Jour­nal­is­mus muss als Dia­log und nicht als Monolog ver­standen wer­den. Vielle­icht ist das ein Geschäftsmod­ell, das Zukun­ft hat und dem falschen Ver­sprechen auf sozialen Medi­en, in Dia­log zu treten, stand­hält. Denn Soziale Medi­en sind eine Serie von Kom­mentaren ohne echte Verbindung und Verbindlichkeit.
  4. Was, wenn Dinge zu groß wer­den? Koali­tio­nen ohne Integrität? Wie kann man Dinge zurück­skalieren auf eine men­schliche Ebene, ohne an Kraft zu ver­lieren? Wir laufen im Moment Gefahr, Bekan­ntheit mit Lead­er­ship zu ver­wech­seln. Medi­enkanäle wie Twit­ter forcieren das. Celebri­ties zu Leit­fig­uren zu machen, ist eine gefährliche Entwicklung.
  5. Brauchen wir eine Por­tion Pes­simis­mus? Blauäugiger Opti­mis­mus in gefährlichen Zeit­en kann unvorherge­se­hene Fol­gen haben. Das hat die Geschichte mehrfach gezeigt. Deshalb müssen wir auf der Hut sein und dahinge­hend ist Pes­simis­mus unser Fre­und. Das bedeutet nicht, hoff­nungs­los zu sein, son­dern ger­ade in schwieri­gen Zeit­en Lead­er­ship zu zeigen. Das kann aber eben auch darin beste­hen, pes­simistis­che Stim­men ernst zu nehmen, um schlim­mere Entwick­lun­gen abzuwenden.

Report

Die aus­führliche Zusam­men­fas­sung und Verdich­tung der Inhalte des Sym­po­siums kön­nen Sie im Report nachlesen.