Ver­sagen die Märk­te und kommt die Wirtschaft nicht in Gang, ver­lieren immer mehr Men­schen eine Exis­tenz sich­ernde Erwerb­sar­beit. Die Antwort auf wach­sende Armut war in der Ver­gan­gen­heit eine selb­stver­sor­gende Garten­wirtschaft. Südeu­ropa macht diese Antwort wieder vor. Auch Öster­re­ichs Poli­tik sollte auf die wach­sende Armutsge­fahr im Land auf diese Art reagieren.

Die Sta­tis­tik Aus­tria sagt: 19 Prozent der in Öster­re­ich leben­den Bevölkerung, das ist jed­er Fün­fte, lebt mit Armuts- und Aus­gren­zungs­ge­fährdung. Das heißt, mehr als 1,5 Mil­lio­nen Men­schen haben zuwenig zum Leben — und zuviel zum Ster­ben. Jede unge­plante Investi­tion ist für diese ein Prob­lem. Dabei han­delt es sich um wenige hun­dert Euro, die für eine neue Waschmas­chine, einen Kühlschrank, eine unge­plante Schul­ver­anstal­tung der Kinder oder die Reparatur des Autos fehlen.

Die Armut­srate ist in Öster­re­ich in den großen Städten wie Wien, Graz, Linz am Höch­sten. Aber auch in Gemein­den bis 10.000 Einwohner*innen weist die Sta­tis­tik eine beson­ders hohe Armut­srate auf. Der Unter­schied zu ländlichen Gemein­den ist, Sozialleis­tun­gen fed­ern dort bess­er die Not ab als in der Stadt. Weil am Land die Leben­shal­tungskosten geringer sind.

Die Armutssta­tis­tik führen Wien (23 %), gefol­gt von Kärn­ten und Vorarl­berg (jew­eils 17 %) an. Diese Zahlen gel­ten nach (!) bere­its erfol­gtem Bezug von Sozialleis­tun­gen. Betrof­fen sind vor allem Alle­in­ste­hende (Frauen wie Män­ner), allein­erziehende Per­so­n­en und Fam­i­lien mit mehr als drei Kindern.

Wer arm ist, spart zuerst am Einkauf der Lebens­mit­tel. Mot­to: Lieber weniger essen, dafür Miete, Strom, Heizung, Wass­er zahlen. Dieses Sparen führt bei betrof­fe­nen Fam­i­lien zu Kinder­ar­mut. In Deutsch­land gehen beispiel­sweise 2,5 Mil­lio­nen Kinder hun­grig in die Schule, weil sich deren Eltern drei Mahlzeit­en am Tag nicht leis­ten kön­nen. In Öster­re­ich gel­ten 313.000 Kinder als man­i­fest arm oder armutsge­fährdet (Graz: 276.000 Ew. Linz: 191.000 Ew.).

„Grow your own food”

In der Zwis­chenkriegszeit gab es eine rege Kle­ingärt­ner-Bewe­gung in Deutsch­land. Jene, die sich die Woh­nun­gen in der Stadt nicht mehr leis­ten kon­nten, zogen ins ländliche Umland und lebten in ihren Garten­häuschen. Aßen das, was in diesen Kle­ingärten ange­baut wurde. Viele dieser Gärten waren auch Keimzellen des Wider­standes gegen das NSDAP-Regime. In den Garten­häuschen wur­den Flug­blät­ter gedruckt, diese in der Nach­barschaft verteilt. Die Druck- und Schreib­maschi­nen in den Kom­post- und Mis­thäufen versteckt.

In den USA reagierten viele von Armut und Arbeit­slosigkeit betrof­fene Men­schen in den 1930er Jahren mit dem Anbau von eigen­em Gemüse. Diese Reak­tion auf die Fol­gen der Great Depres­sion entwick­elte sich zu ein­er Haus­garten­be­we­gung und kon­nte in den Städten als „Urban Home­steading” die ärg­ste Not lin­dern. Viele Farmer in den USA lit­ten zu dieser Zeit mehr unter Armut als jene, die kleine Küchengärten bewirtschafteten.

Auch die Britis­che Regierung rief während des Zweit­en Weltkrieges ihre Bevölkerung zur Selb­stver­sorgung aus dem eige­nen Küchen­garten auf: „Grow your own food. Sup­ply your own cook­house.” (siehe Foto bei Richard Reynolds, Gueril­la Gar­den­ing. Ein Botanis­ches Man­i­fest. Orange Press: 2009.)

Später in den 1970er Jahren ent­stand das „Com­mu­ni­ty Gar­den­ing” in New York wieder als Antwort auf Armut, soziale Ver­wahrlosung, Ver­mül­lung und Dro­genkrim­i­nal­ität in den weniger begüterten Stadtvierteln wie der Bronx, Brook­lyn, East Man­hat­tan und Harlem. Die Bewohner*innen dieser Vier­tel grif­f­en zur Selb­sthil­fe, ent­müll­ten Hin­ter­höfe und brach liegende Grund­stücke zwis­chen Häuser­schlucht­en, legten Gärten an und zogen dort ihr Gemüse und Obst. Zwei Effek­te waren die Folge: Lin­derung der Armut, Sanierung ver­wahrloster Flächen, Rück­gang der Dro­genkrim­i­nal­ität auf den Straßen, und die Vier­tel verbesserten sich auch optisch. Der soziale Zusam­men­halt wurde gestärkt, die Stadtvier­tel wur­den sicherer.

Der Nieder­gang der Auto­mo­bilin­dus­trie von Detroit, der Motorci­ty in Michi­gan, führte vor rund zwanzig Jahren zu extrem hoher Arbeit­slosigkeit. Super­märk­te sper­rten in vie­len Stadtvierteln zu, Krim­i­nal­ität wuchs, die Vier­tel ver­müll­ten. Ich sah selb­st dieses Elend Mitte der 1990er Jahre in Detroit. Die dort leben­den Men­schen kon­nten sich wegen Armut und fehlen­der Geschäfte keine Lebens­mit­tel mehr kaufen. So began­nen sie Küchengärten anzule­gen und ver­wahrloste Grund­stücke der Stadt zu bewirtschaften. Das war die Geburtsstunde der Urban Farms, der städtis­chen Klein­land­wirtschaften. Seit­dem heißt es bei vie­len stolz: „I‘m a farmer!” Diese Stadt­far­men schaf­fen Jobs und ver­sor­gen die Men­schen mit Nahrungsmit­teln. Die Stadtvier­tel wur­den sicher­er, die Armut wurde gelindert.

Selbstversorgung in Südeuropa

Als Folge der aktuellen Wirtschaft­skrise ent­stand in Südeu­ropa als erstes eine Bewe­gung hin zur Selb­stver­sorgung. Ende August 2014 berichtete der TV-Sender ARTE von rund 70.000 (!) Gemüsegärten in Lissabon.

Im spanis­chen Madrid ent­stand seit 2008 ein Urban Gar­den­ing Net­zw­erk als Antwort auf diese Armut. Diese Ini­tia­tive set­zt sich jet­zt zum Ziel für Nahrungsau­tonomie und einen ökol­o­gis­chen Lebensstil der Madrid­er Bevölkerung zu sorgen.

In bei­den Län­dern beträgt die Arbeit­slosen­rate rund 25 Prozent. Die Jugen­dar­beit­slosigkeit liegt jen­seits der 50 Prozent. Zwis­chen 2011 und 2012 ver­ließen rund 400.000 Por­tugiesen ihr Land. Armut und Langzeitar­beit­slosigkeit zwan­gen sie zur Emigration.

Kollaps-Gefahr

Wo soziale Struk­turen wie gün­stiges Wohnen, Arbeit­slose­nun­ter­stützung, Gesund­heits- und Bil­dungswe­sen nicht mehr funk­tion­ieren, muss das Über­leben gesichert wer­den. Dimtri Orlov (Inge­nieur und Autor des Buch­es „Rein­vent­ing Col­lapse”, 2008) beschreibt den Zusam­men­bruch ein­er Gesellschaft in fünf Schrit­ten: Zu Beginn kol­la­biert das Finanzwe­sen, danach kol­la­bieren die Märk­te, was ein Ver­sagen der Poli­tik und der sozialen Struk­turen nach sich zieht. Am Ende dieser Zusam­men­brüche ste­ht der kul­turelle Ver­fall ein­er Gesellschaft. Der Ver­lauf dieses Zusam­men­bruch­es kann aber aufge­fan­gen wer­den. Begin­nen die Betrof­fe­nen mit selb­stver­sor­gen­der Garten- und Klein­land­wirtschaft, wenn die Märk­te kol­la­bieren und die Poli­tik zu ver­sagen begin­nt, dann wer­den dadurch resiliente neue, kleine soziale Struk­turen errichtet. Diese kön­nen den sozialen Kol­laps auf­fan­gen. Wer gartelt hat näm­lich keine Zeit für Krim­i­nal­ität und Gewalt.

Por­tu­gal, Spanien, Griechen­land zeigen uns dieses Ver­sagen der Märk­te und die dro­hen­den poli­tis­chen und sozialen Zusam­men­brüche ihrer Gesellschaften. In Griechen­land wur­den seit 2008 rund 600.000 Arbeit­splätze vernichtet.

Viele Men­schen in Gesamt-Europa sind heute gezwun­gen, in Müll­ton­nen nach Ess­barem zu suchen. Geben damit ihre Würde und Selb­stach­tung ab. Meist ver­sagt in diesem Sta­di­um des sozialen Kol­laps auch die nationale Poli­tik. Würde sie der Bevölkerung unter die Arme greifen, Flächen fürs Küchen­garteln zur Ver­fü­gung stellen und eine Garten­be­we­gung unter­stützen, kön­nte das viel Elend und Not lin­dern. Und gle­ichzeit­ig Hass, Abschot­tung und Aus­gren­zung inner­halb der Gesellschafts­grup­pen den Nährbo­den entziehen.

„Back to the Roots”

Südeu­ropa zeigt aber auch, dass das selb­stver­sor­gende Garteln dem sozialen Kol­laps ent­ge­gen­wirken kann. Die griechis­che Kartof­fel­be­we­gung stellt seit ein paar Jahren eine „Zurück aufs Land”-Bewegung dar. Selb­st die vor­ange­gan­gene kon­ser­v­a­tive Regierung förderte die Klein­land­wirtschaft, unter­stützte Agrar-Pro­gramme mit der Uni­ver­sität in Athen. Ver­loste Grund­stücke für eine klein­bäuer­liche Bewirtschaftung.

Viele junge Griechen gin­gen bere­its zurück auf die Inseln, betreiben wieder ökol­o­gis­che Land­wirtschaft für den Eigenbe­darf. Ganz neben­bei belebt dieser Schritt zurück zu den Wurzeln die lokalen sozialen Dorf­struk­turen auf den Inseln. Und man knüpft und pflegt wieder nicht-kom­merzielle Beziehun­gen. Das stärkt den sozialen Zusam­men­halt in Zeit­en der Krise und macht die Gesellschaft resilien­ter gegenüber äußeren Störungen.

Auch für Österreich ein Thema

In Öster­re­ich sollte man nicht so tun, als gin­ge einen die Krise nichts an. Auch hier ver­sagen die Märk­te bere­its, sicht­bar an stetig steigen­der Arbeit­slosigkeit (10,5 Prozent, Ver­dop­pelung der Langzeitar­beit­slosen) und deut­lichen Umsatzrück­gan­gen nach dem 20. eines Monats in den Supermärkten.

Fast eine halbe Mil­lion Men­schen waren in Öster­re­ich zulet­zt Anfang der 1950er Jahre arbeit­s­los. Die Lage ist ernst, sagte AMS-Chef Johannes Kopf Anfang Feb­ru­ar des Jahres.

Auch Sozialleis­tun­gen wer­den in Öster­re­ich zurück­ge­fahren. Und wenn in den Städten rund ein Vier­tel der Bevölkerung nach Bezug von Sozialleis­tun­gen immer noch in Armut lebt, dann ist das die Auf­forderung an die Poli­tik, zu han­deln. Tut sie das nicht, ver­sagt sie und rei­ht sich in den näch­sten Schritt des Zusam­men­bruch­es ein­er Gesellschaft ein.

Die Zukun­fts­forschung prophezeit außer­dem, dass der Mit­tel­stand in allen europäis­chen Län­dern aus­stirbt, wir mit weniger bezahlter Arbeit leben ler­nen müssen. Ein Ansteigen von Armut ist damit in allen Län­dern vorprogrammiert.

In manchen Bun­deslän­dern hat man schon erkan­nt, wohin es geht. So spricht sich die Stadt Linz für ein Urban Gar­den­ing Konzept aus. Dieser Aktion­s­plan unter­stützt kostengün­stiges Gemein­schafts­gärt­nern auf städtis­chen Flächen. In Oberöster­re­ich gibt es auch einen Urban Gar­den­ing Beauf­tragten beim Klimabünd­nis. In der Steier­mark wurde die pri­vate Ini­tia­tive „Ess­bare Gemeinde” im Früh­ling 2013 erfol­gre­ich ges­tartet. Diese weit­et sich auf andere Bun­deslän­der aus. Jet­zt fol­gen auch „Ess­bare Fir­mengärten” dieser Aktion.

Für mich stellt sich die Frage, ob diese poli­tisch unter­stützte Garten-Bewe­gung im Bewusst­sein steigen­der Armutsge­fahr passiert. Ich bezwei­fle dies im Moment und kann nur mit einem Faz­it aus dem bere­its im Jahr 2000 erschiene­nen Buch „Die Rück­kehr der Gärten” von Elis­a­beth Mey­er-Ren­schhausen schließen:

„Die heutige Debat­te von der Notwendigkeit, angesichts der Erwerb­slosigkeit Eige­nar­beit aufw­erten zu müssen, sollte die tra­di­tionellen Möglichkeit­en dazu in Klein­land­wirtschaften und Gärten mehr berück­sichti­gen.” (ebda, S. 37.)

Autor

Ange­li­ka Wohof­sky betreibt ein Infor­ma­tion­sportal über das Küchen­garteln unter www.gutesausdemkuechengarten.com

Sie arbeite als Autorin und Lek­torin. „Gutes aus dem Küchen­garten” ist ein Pro­jekt, das im Früh­jahr 2014 als Blog bei Stern.de ges­tartet wurde um das Küchen­garteln zur Ver­sorgung mit Lebens­mit­teln zu fördern.