Gabriele Fis­ch­er war Exper­tin beim heuri­gen SURPRISE FACTORS SYMPOSIUM „Wo begin­nt, wo endet Frei­heit?” in Gmunden. 

Gabriele Fischer im Interview:

Wenn man über die Verbindung zwis­chen Frei­heit und Abhängigkeit nach­denkt, läuft es oft auf die Frei­heit des Einzel­nen hin­aus, Sub­stanzen zu sich zu nehmen, ohne dabei die Frei­heit von anderen zu stören. Aber Sucht trägt ein Stig­ma in sich. Wenn man davon spricht, dass jemand „abhängig“ ist, spricht man nicht von etwas Gutem. Nor­maler­weise verbinden das Men­schen mit der Abhängigkeit von ille­galen Drogen.

Dro­gen und Abhängigkeit sind so poli­tisch, das macht ratio­nale Diskus­sio­nen schwierig.

Aber glob­al gese­hen ist die größte Sucht das Essen. Vor einem Jahr hat die Welt­ge­sund­heit­sor­gan­i­sa­tion Zahlen veröf­fentlicht, dass mehr Men­schen auf dem Plan­eten an Übergewicht lei­den als an Untergewicht. Während also die meis­ten Leute über die Auswirkun­gen von z.B. Hero­in­ab­hängigkeit oder Kokain­sucht sprechen wollen, sind die wichtig­sten The­men heute Essen und Essstörungen.

Die Frage der Frei­heit kommt dazu, sobald der Staat involviert ist. Zum Beispiel hat Recep Erdo­gan, der Präsi­dent der Türkei, kür­zlich Män­ner zu sich in den Palast ein­ge­laden, die erfol­gre­ich mit dem Rauchen aufge­hört haben. Er hat beschlossen, dass der Staat bei der Nikotin­ab­hängigkeit die Ver­ant­wor­tung übernehmen muss. Kein­er hat die Frei­heit, Dro­gen zu miss­brauchen, auch nicht Nikotin. Und es gibt ein neues Gesetz, dass nie­mand mehr, der an Lun­genkrebs erkrankt, durch die Ver­sicherung gedeckt ist. Wenn man jet­zt dieselbe Idee auf Fet­tleibigkeit überträgt und auf Men­schen, die nach Essen süchtig sind – würde man jeman­dem, der eine Hüft­op­er­a­tion braucht, sagen: „Sie sind zu dick, deshalb bezahlen wir nicht für Ihre Operation“?

Ein Teil der Sucht hängt mit den Genen zusam­men. Aber sie hängt auch mit der Ver­füg­barkeit zusam­men, oder mit Lebensereignis­sen. Jed­er weiß zum Beispiel, dass bei Brustkrebs in der Fam­i­lie wegen der genetis­chen Vor­be­las­tung eine größere Wahrschein­lichkeit beste­ht. Das­selbe trifft auf psy­chis­che Erkrankun­gen zu. Man unter­liegt einem beson­deren Risiko.

Wenn es um Sucht geht, haben wir Ver­ant­wor­tung und Frei­heit. Wir kön­nen nur mit der Frei­heit leben, wenn wir auch die Ver­ant­wor­tung akzep­tieren. Gestern Abend hat­ten wir wun­der­baren Wein zum Essen. Aber wir haben Ver­ant­wor­tung über­nom­men: Wir haben Wein getrunk­en, aber wir sind nicht mehr Auto gefahren. Das andere Beispiel ist Tol­er­anz. Nehmen wir an, der Besitzer eines Hotels sieht jeman­den, der zu viel getrunk­en hat und heim­fahren will. Ihn das tun zu lassen, ist nicht Tol­er­anz, es ist Gleichgültigkeit.

Jed­er ist von irgen­det­was abhängig.

Wenn ich an Dro­genkon­sum denke, ein­schließlich Nahrung, läuft das für mich auf die indi­vidu­elle Frei­heit hin­aus, zu entschei­den, was man zu sich nehmen will. Aber sobald man abhängig ist, hat man seine Frei­heit ver­loren. Wenn man eine Zigarette rauchen muss, ver­liert man seine Frei­heit. Du lei­dest, weil du deine Frei­heit ver­loren hast. Du bist eingeschränkt in dem, was du tun kannst.

Es kommt ein Film über Janis Joplin her­aus, die ein­mal gesagt hat, „Frei­heit ist nur ein anderes Wort, wenn nichts mehr da ist, was man ver­lieren kön­nte.“ Sie war sehr unglück­lich als junges Mäd­chen. Sie war nicht sehr hüb­sch und sie nahm Hero­in, weil es ihr das Gefühl von Wärme und Liebe gab. In ihrem Fall war es die Ver­ant­wor­tung ander­er, ihr zu helfen. Wir müssen für jeman­den in so einem Zus­tand Ver­ant­wor­tung übernehmen, weil es die Per­son selb­st nicht mehr beurteilen kann.

Zur Person:

Gabriele Fis­ch­er ist Sucht­forscherin und Pro­fes­sorin der Psy­chi­a­trie, sie leit­et die Sucht­forschung und ‑ther­a­pie an der Medi­zinis­chen Uni­ver­sität Wien. Zudem ist sie u.a. Kom­mis­sion­slei­t­erin der OPCAT (Option­al Pro­to­col to the Con­ven­tion against Torture)-Kommission in Öster­re­ich. Als Kon­sulentin der UNO und WHO entwick­elte sie Behand­lungsstrate­gien für suchtkranke Frauen in Afghanistan, die men­schen­rechtlichen Stan­dards entsprechen. Fis­ch­er ver­fasste über 180 wis­senschaftliche Pub­lika­tio­nen und hielt mehr als 500 wis­senschaftliche Vorträge.

Fis­ch­er gilt als eine der Besten auf ihrem Gebi­et. In ihrer täglichen Arbeit set­zt die pro­movierte Medi­ziner­in ver­schieden­ste Schw­er­punk­te im Bere­ich der Sucht- und Dro­gen­ab­hängigkeit und stellt sich damit der Frage, welche Ein­schränkun­gen eine Sucht für die Betrof­fe­nen und das soziale Umfeld mit sich bringt. Einen Teil ihrer Aus­bil­dung absolvierte die Wis­senschaf­terin an der Wash­ing­ton Uni­ver­si­ty in den USA. In der Forschung hat sie zahlre­iche nationale und inter­na­tionale Förderun­gen (EU, NIH) erhalten.

Als (Mit-)Gründerin von „Frauen für Frauen – Gesund­heit im Bren­npunkt“ hat die Medi­ziner­in außer­dem eine Plat­tform geschaf­fen, die eine bessere und frauen­gerechtere Ver­sorgung von Pati­entin­nen und ein effizien­teres Net­work­ing zwis­chen weib­lichem medi­zinis­chem Per­son­al mit Schw­er­punkt in Wien sich­er­stellen soll.