„Was ist neu an den neuen Medi­en?” fragt der Medi­en­philosoph Frank Hart­mann. Neu ist, was über den bekan­nten Stand der Dinge hin­aus­ge­ht, wür­den Paten­trechtler argu­men­tieren. Aber wie ver­hält sich das in der Kul­tur? Und gibt es über­haupt echte Erfind­un­gen? Hart­mann ist hier skep­tisch. Die meis­ten großen soge­nan­nten „Erfind­er” hät­ten von anderen geklaut, sog­ar das Apple Design, weiß der Wis­senschafter und wirft die Frage auf, ob es heutzu­tage gar ein Kom­pli­ment wäre, von Apple plagi­iert zu werden?

Neues orientiert sich am gesellschaftlichen Bedarf

Neues hängt weniger von der Tech­nik und Erfind­ung ab son­dern vielmehr von gesellschaftlichem Bedarf und soziale Lebenswel­ten — die sich natür­lich ändern. Inno­va­tio­nen sind unter­schiedlich­ster Natur. Der Erfolg von YouTube lässt sich gut erk­lären mit dem gesellschaftlichen Bedürf­nis, sich mit Medi­en­in­hal­ten von den Fes­seln der gängi­gen Ver­bre­itungsin­dus­trie zu befreien. Dass man sich dadurch in neue Abhängigkeit­en beg­ibt, ste­ht auf einem Blatt. Neues ist dem­nach jedoch nicht tech­nis­che Inno­va­tion son­dern Erweiterung der sozialen Möglichkeit­en, die so nie­mand vorherge­se­hen hat (Stich­wort: YouTube, Wikipedia, Face­book). Nutzer gestal­ten und es entwick­elt sich eine demokratis­che Umnutzung von Massenmedien.

Welche Kultur wollen wir?

Welchen Ein­fluss nun neue Medi­en auf Kul­tur und Wirtschaft haben hängt entschei­dend von der Frage ab, welche Kul­tur wir wollen. Der Sozi­ologe Robert K. Mer­ton prägte den Begriff des „Wis­senskom­mu­nis­mus” und spricht dabei vom Gemeingut der Wis­senschaften. Gle­ich­sam gibt es heute tech­nisch die Möglichkeit, den Medi­en­ver­bund zu ent­macht­en, geschlossene Kreis­läufe aufzubrechen und beste­hende Medi­en demokratisch zu nutzen. Dieser Gebrauch schafft die Frei­heit, sich auszu­tauschen. Neu ist dem­nach, dass Struk­tur und Inhalt nicht mehr hard-wired sind.

Die Arbeitswelt produziert Couchpotatoes

Mit der Beschrei­bung der Reak­tion von RTL auf den dig­i­tal­en Wan­del skizzierte Andreas Rudas die Zukun­ft des Fernse­hens. Seine These zu den „jun­gen, wilden Inter­ne­tusern” ist die, dass sie — wie Gen­er­a­tio­nen vorher — zu Couch­po­toa­toes wer­den, sobald sie ins Arbeit­sleben ein­treten. Verän­derung ortet er jedoch in der Wer­be­wirtschaft, die dazu führt, dass es für das Fernse­hen zunehmend wichtiger wird, unab­hängig von Wer­beein­nah­men zu wer­den und die Frag­men­tierung der Pro­gramme zu nutzen. Ziel­grup­pen wer­den immer klein­er, PayTV und „on demand” wird wichtiger. Im Fernse­hen siegen die Kon­sumenten, Anbi­eter müssen sich an Kon­sumenten hal­ten. Die Wer­be­wirtschaft denkt genau darüber nach, wie sie möglichst große Pub­likumss­chicht­en erre­icht, wen­det sich aber auch ziel­gerichtet an ihre spez­i­fis­chen Ziel­grup­pen. In der Musik- und Buch­branche ortet Rudas stärkere Mono­pole bzw. Oli­go­p­o­le: itunes hat sich in Musik durchge­set­zt, ama­zon, barnes&noble, und einige andere in der Buchin­dus­trie. Bei den audio­vi­suellen Medi­en kommt video on demand und catch-up TV ver­mehrt. So zeich­net sich ein Trend ab, dass Zuschauer selb­st Direc­tor wer­den wollen. Die Zukun­ft heisst con­tent pro­duc­tion, intel­lec­tu­al prop­er­ty, die Nutzung ver­schieden­er Ver­trieb­swege. Online ist auch im Fernse­hen ein Wachstumsmarkt.

Was sind soziale Medien?

Rudas argu­men­tiert, dass nicht nur Face­book und Co zu den social media zählen, auch Fernse­hen ist Teil der online Welt, speziell im Hin­blick auf mobile Fernse­han­wen­dung. Die virtuelle Welt sieht er als Spiegel­bild der realen Welt, ein „Markt” in dem man präsent sein muss. „Die dig­i­tale Rev­o­lu­tion ist unverän­der­bar”, deshalb muss man Chan­cen nutzen und annehmen.

Kommunikation im global village

Wie schaut die Kom­mu­nika­tion im Glob­al Vil­lage nun aus? Wie verän­dert das „Welt­dorf” die Kom­mu­nika­tion und Lebenswel­ten sein­er Bewohner­in­nen und Bewohn­er? Die neue Welt verän­dert auch poli­tis­ches Leben grundle­gend. Der Broad­cast­er wird zum Nar­row­cast­er, doch der Medi­en­mach­er bleibt. Inter­net ist in diesem Sinn laut Rudas kein Medi­um son­dern tech­nis­che Infra­struk­tur, es ändert sich der Daten­träger, nicht der Inhalt. Dies ist zurück­zuführen auf den Bedarf in der Kul­tur, der sich entwick­elt hat.

Quotenmessung ist unwissenschaftlicher Konsens auf hohem Niveau

Hart­mann ist überzeugt: es gibt keine wirk­liche Medi­en­wirkungs­forschung: „Man kann das gar nicht so genau wis­sen, wie es der Wer­be­wirtschaft verkauft wird.” Anders im Inter­net, hier weiß man genau, wer einen Artikel liest. Der dig­i­tal­en Entwick­lung und der ein­herge­hen­den Chan­cen und Möglichkeit­en gegenüber ist man in Europa jedoch sehr ver­hal­ten und anerken­nt die Chan­cen der Dig­i­tal­isierung zu wenig. So sei beispiel­sweise ein Trend abzuse­hen, dass die Nach­frage nach (gedruck­ten) Büch­ern steigt, wenn sie in dig­i­tal­isiert­er Form im Inter­net ver­füg­bar sind. Aus wis­senschaftlich­er Sicht zeigt sich das Pub­lika­tion­swe­sen noch etwas anders: „Wir wollen gele­sen wer­den, da ist uns jedes Medi­um recht”, meint Hart­mann mit Seit­en­hieb auf die Knebelverträge in Wis­senschaftsver­la­gen, die sich weit von der ursprünglichen Idee des „Pub­lizierens” ent­fer­nt haben.

Neue Medi­en kön­nen zu Qual­ität im Diskurs der Kul­tur beitra­gen, doch die Gesellschaft ist immer auch eine Gesellschaft des Spek­takels, wo unre­flek­tiertes Zuschauen den Mächti­gen zu mehr Macht und Geschäft verhilft.

Zersplitterung der Welt

Den neuen Medi­en fehlt die Kon­sis­tenz, die man in ein­er guten Redak­tion vorfind­et, gle­ich­sam eine Syn­thetisierung von Infor­ma­tion durch inhaltliche Kom­pe­tenz und Hal­tung gegenüber Din­gen, die nicht nur kon­sum­istisch ist. Die öffentlich rechtlichen Rund­funkanstal­ten ver­fehlen hier ihre Auf­gabe, indem sie sich zu sehr den pri­vat­en Anbi­etern anpassen.

Transparenz wird wichtiger

Neue Par­tizipa­tions­for­men und Mobil­isierung wer­den vielfach neuen Medi­en zugeschrieben. Die Errun­gen­schaft von Wik­ileaks liegt beispiel­sweise mitunter darin, Ein­blicke zu ver­schaf­fen, wie eine „abge­hobene Kaste” regiert und agiert. Trans­parenz, open Data, open Gov­ern­ment sind hier die Schlag­worte der Zukun­ft. „Gebt den Bürg­erIn­nen die Dat­en zurück, die sie selb­st gener­ieren!” Nur so kommt man zu besseren Entschei­dun­gen für bess­er informierte Bürg­erIn­nen. So auch die Idee und Errun­gen­schaft des Britis­chen Infor­matik­ers und Erfind­ers der HTML Tim Bernes-Lee: umfan­gre­iche freigegebene Daten­sätze, die in der Ära des user gen­er­at­ed con­tent weit­erge­führt wird. Ist in Analo­gie die Zielvorstel­lung eine „user gen­er­at­ed democracy”?

Mystifizierung der Sozialen Medien

Niko Alm, bekan­nt durch seinen poli­tis­chen Aktivis­mus, spricht davon, wie die Wirkung im Sinne der poli­tis­che Mobil­isierung durch social media über­höht dargestellt wird, wie am Beispiel des Ara­bis­chen Früh­lings zu sehen ist. Fernse­hen war als Fak­tor hier wichtiger als neue Medi­en. Den­noch gibt es Verän­derun­gen, die neue Medi­en möglich gemacht haben und auch die Men­schen und ihre Zugänge verän­dern. So etwa die „Instant Ver­net­zung” mit Twit­ter. Verän­derun­gen sind auch in der Art und Weise festzustellen, wie sich das Infor­ma­tionsver­hal­ten so ver­net­zter Men­schen ändert. Niko Alm spricht davon, wie man sich in der eige­nen Medi­ense­lek­tion auf das eigene Net­zw­erk ver­lässt im Sinne davon, dass man Infor­ma­tio­nen nicht mehr sucht son­dern von ihnen im eige­nen Net­zw­erk gefun­den wird:  „if the news is that impor­tant, it will find me”.

Demokratie flüssiger, transparenter und flexibler machen

Daniel Reichert von Liq­uid Democ­ra­cy (Berlin) stellt den Weg des direk­ten Par­la­men­taris­mus mit sowohl der the­o­retis­chen Konzep­tion als auch der direk­ten Umset­zung mit­tels Com­put­er-Soft­ware vor: „Wir wollen Men­schen dort abholen, wo sie sich poli­tisch bewe­gen. Es gibt keine Notwendigkeit, über die Parteipoli­tik zu gehen” ist sich der junge Poli­tik­wis­senschaftler sich­er. Man sucht sich Repräsen­tan­ten aus und kann ihnen eben­so die Stimme wieder entziehen, qua­si per Mausklick. Auch inhaltlich wäre mehr Mitbes­tim­mung prob­lem­los möglich, etwa durch das Onlinestellen von Papieren und Konzepten im Pro­jek­t­sta­tus. So bekäme man prob­lem­los Zugang zur Exper­tise der Bevölkerung. Einig ist man sich auch darin, dass ern­sthafte Beteili­gung sehr wichtig ist und dass poli­tis­che Ini­tia­tiv­en ernst genom­men wer­den müssen.

Partizipation und Mobilisierung ist nicht dasselbe

Ger­ade im poli­tis­chen Kon­text muss man zwis­chen Par­tizipa­tion und Mobil­isierung streng­stens unter­schei­den. Mitunter ein Prob­lem bei der Par­tizipa­tion ist, dass nicht unbe­d­ingt immer die Exper­tin­nen und Experten teil­nehmen son­dern oft auch ein­fach Men­schen, die über viel Tages­freizeit ver­fü­gen. Ger­ade bei Sachthe­men soll­ten die Grund­sätze des diskursethis­chen Ansatzes (vgl. Jür­gen Haber­mas) gel­ten. Zudem muss auch nicht jed­er bei jed­er Entschei­dung teil­haben, son­dern jed­er muss die Möglichkeit haben, teilzuhaben, wenn er oder sie es für wichtig hält.

Algorithmen als Gatekeeper

Der Kampf um Pro­gramm­platz Num­mer 1 hat begonnen — auf allen Kanälen, ob Social Media oder TV. Mehr und mehr Unternehmen sind auf Face­book präsent, klas­sis­che URLs ver­lieren an Traf­fic.  Face­book wird so zum mul­ti­me­di­alen Info-Kanal, wo sich jede und jed­er die eige­nen Mulit­p­lika­torIn­nen selb­st aus­sucht. Dabei ist die Plat­tform selb­st eine klas­sis­che Wer­be­fläche: der User gibt ihr Zeit, Aufmerk­samkeit, Inhalte und Dat­en und bekommt dafür Infor­ma­tio­nen und eine Kom­munka­tion­sin­fra­struk­tur. In der fort­geschrit­te­nen Phase des Web 2.0 wird nur mehr das gezeigt, was als rel­e­vant eingestuft wird. Die neuen Gate­keep­er sind kom­plexe Algorithmen.

Social Media ist ein Systemgut

Soziale Medi­en leben von der Anzahl der Men­schen und der Inhalte, die sie nutzen. Der Umgang damit bedeutet stetiges Zuhören und Teil­haben und ist längst nicht mehr auf PC-Arbeit­splätze beschränkt son­dern mobil gewor­den. So bewe­gen sich social media immer gemein­sam mit den Men­schen und denen von ihnen gestal­teten Welten.