Rehabilitation, Prähabilitation und Avatare

In der physikalischen Medizin geht es derzeit darum, die Rehabilitation auf neue und passende Füße zu stellen. Dafür gibt es völlig neue Konzepte und Ansätze

Im ober­sten Stock der Barmherzi­gen Schwest­ern Linz ist, getren­nt von den restlichen Räum­lichkeit­en des Physikalis­chen Insti­tuts, recht unschein­bar, das Büro von Pri­maria Dr. Daniela Gat­tringer unterge­bracht. Von hier aus koor­diniert die Fachärztin für Physikalis­che Medi­zin und Reha­bil­i­ta­tion maßgeschnei­derte Ther­a­pi­en für Pati­entin­nen und Patien­ten und erar­beit­et gemein­sam mit anderen – allen voran der Pen­sionsver­sicherungsanstalt – weg­weisende neue Reha-Konzepte für ganz Österreich.

Die physikalis­che Medi­zin ist ein in Oberöster­re­ich ver­hält­nis­mäßig junges medi­zinis­ches Fach und in der Bevölkerung noch wenig bekan­nt und beachtet. Denn es gibt kaum niederge­lassene Ärzte und der Bedarf tritt für Pati­entin­nen und Patien­ten meist erst im Zusam­men­hang mit ein­er Reha­bil­i­ta­tion auf. Dabei kön­nte das auch anders sein.

Die maximale Funktionalität erreichen

Das Ziel ein­er physikalis­chen Ther­a­pie ist es, für die jew­eils Betrof­fe­nen das Max­i­mum an Funk­tion­al­ität, Aktiv­ität und Par­tizipa­tion zu erre­ichen. Da es darum geht, Funk­tion­sstörun­gen aller Organ­sys­teme zu diag­nos­tizieren und zu behan­deln, braucht es dafür auch ein dementsprechen­des mul­ti­modales Ther­a­piekonzept und bre­ites Fachwissen.

Fachärzte für Physikalis­che Medi­zin und Reha­bil­i­ta­tion gehen auf die speziellen Bedürfnisse und Möglichkeit­en der Patien­ten ein und stellen aus­ge­hend von den definierten Zie­len ein sehr vielfältiges und Diszi­plinen-über­greifend­es Ther­a­piepro­gramm zusammen.

Phys­io­ther­a­pie, Ergother­a­pie, Stoßwellen­ther­a­pie, Reiz-Reg­u­la­tions-Ther­a­pi­en, wie Wärme, Kälte, Mas­sagen, Licht, Strom, Bewe­gung gehören zum Meth­o­d­en­spek­trum des Fach­es. „Da sind wir eher tra­di­tionell unter­wegs.“ meint die Pri­maria. Wo hinge­gen ganz neue Akzente geset­zt wer­den, ist das Ein­satzge­bi­et der Reha­bil­i­ta­tion und vor allem die Form, wie sie heute durchge­führt wer­den kann.

Vielfältigste Einsatzmöglichkeiten – auch bei onkologischen Erkrankungen

Eine Reha­bil­i­ta­tion sollte immer dann zum Ein­satz kom­men, wenn auf­grund von Erkrankun­gen oder Ver­let­zun­gen funk­tionelle Störun­gen beim Men­schen auftreten. Das kann durch einen Schla­gan­fall passieren, aber auch nach Oper­a­tio­nen, bei Herz­erkrankun­gen, chro­nis­chen Erkrankun­gen oder Krebserkrankungen.

Seit 2012 ist im Reha­bil­i­ta­tion­s­plan der öster­re­ichis­chen Sozialver­sicherungsträger die Reha­bil­i­ta­tion nach Kreb­serkrankun­gen ver­ankert. „Bei ein­er Kreb­serkrankung kann bei der Sozialver­sicherung eine Reha beantragt wer­den. Das wis­sen viele nicht, auch Ärzte“, ist die Fachärztin um Aufk­lärung bemüht. Dabei sind die Erfol­gsprog­nosen gut und die Wartezeit­en ver­hält­nis­mäßig kurz.

Während bei ein­er neu­rol­o­gis­chen oder kar­di­ol­o­gis­chen Reha­bil­i­ta­tion mitunter mit lan­gen Wartezeit­en zu rech­nen ist, gibt es bei der onkol­o­gis­chen Reha­bil­i­ta­tion freie Ressourcen.

Dass man dafür nicht mehr sta­tionär in ein­er Anstalt aufgenom­men wer­den muss, son­dern das Reha-Pro­gramm auch ambu­lant absolvieren kann, ist der Lei­t­erin der Abteilung zu ver­danken. Denn das Vinzenz Ambu­la­to­ri­um am KH der Barmherzi­gen Schwest­ern in Linz ist genau in diesem Bere­ich fed­er­führend in Öster­re­ich. Als bis­lang einzige Ein­rich­tung wird hier seit 2015 eine ambu­lante onkol­o­gis­che Reha­bil­i­ta­tion ange­boten, die völ­lig neue Konzepte erprobt. Wie erfol­gre­ich dieser Ansatz ist, zeigt, dass 2018 ein eigenes ambu­lantes Reha-Zen­trum der Vinzenz-Gruppe in Linz eröffnet wird. Diese örtliche Abkop­pelung vom Kranken­haus hat viele Vorteile und gibt dem Ange­bot den Stel­len­wert, den es verdient.

Von der ambulanten Rehabilitation zum Virtuellen Trainer

Reha­bil­i­ta­tion ist im gängi­gen Ver­ständ­nis immer noch mit wochen­lan­gen Aufen­thal­ten in speziellen Ein­rich­tun­gen ver­bun­den. Das muss nicht so sein und ist auch nicht mehr zeit­gemäß. Mobile Patien­ten, Patien­ten mit Fam­i­lie oder solche, die im Arbeit­sleben ste­hen, haben nicht den Betreu­ungs­be­darf oder die Möglichkeit für eine sta­tionäre Reha­bil­i­ta­tion. Auch Tumor­pa­tien­ten, die einen sehr lan­gen Kranken­hausaufen­thalt hin­ter sich haben, möcht­en oft für eine Reha nicht schon wieder weg von zu Hause sein. Manche verzicht­en deshalb auf das medi­zinis­che Ange­bot und nehmen Funk­tion­sstörun­gen in Kauf. „Für Men­schen mit geringem Pflegebe­darf und dem passenden Umfeld ist die ambu­lante Reha­bil­i­ta­tion die per­fek­te Möglichkeit, Gesund­heit, Fam­i­lie oder Beruf zu vere­inen,“ ist Gat­tringer überzeugt.

Die ambu­lante Reha­bil­i­ta­tion ist ein Zukun­ftsmod­ell, da sie ein­er­seits Kosten spart und ander­er­seits sehr gut in den All­t­ag der Betrof­fe­nen inte­gri­ert wer­den kann.

Auch die Dig­i­tal­isierung hält unter dem Stich­wort „Telether­a­pie“ in der Reha Einzug: Mit­tels dig­i­taler Ther­a­piepläne kön­nen Patien­ten zu Hause indi­vidu­ell in ihrem Gene­sungs­fortschritt betreut wer­den. Eigene Avatar-Pro­gramme oder Apps führen durch die Ther­a­pie, überwachen die Heilung und melden Prob­leme an die Spezial­is­ten. Der­ar­tige Meth­o­d­en wer­den in Skan­di­navien bere­its einge­set­zt, kön­nen aber den Fak­tor Men­sch nie ganz erset­zen, denn: „Schon alleine das Reden über den Schmerz lin­dert ihn nach­weis­lich“, gibt Dr. Gat­tringer zu bedenken.

Prähabilitation: Die vorbeugende Reha

Der neueste Trend in der Reha­bil­i­ta­tion ist die Präha­bil­i­ta­tion, also die Vor­bere­itung auf Ein­griffe oder sehr belas­tende Ther­a­pi­en, wie etwa große Oper­a­tio­nen oder eine Chemother­a­pie. Ab dem Zeit­punkt der Diag­nose begin­nt die Vor­bere­itung: „Da wird trainiert wie auf einen Wet­tkampf“, zieht Gat­tringer den Ver­gle­ich. Durch die gezielte Vor­bere­itung wird der Gene­sungser­folg gefördert und die Ein­griffe oder Ther­a­pi­en sind bess­er verträglich. Darüber hin­aus muss die Pati­entin oder der Patient nicht taten­los den Tag X abwarten, son­dern kann sich vor­bere­it­en. So ist man nicht aus­geliefert, son­dern mit in der Verantwortung.

So macht Prähabilitation die Rehabilitation erfolgreicher. Zwei Beispiele:

Hubert hat Knieprob­leme. Die kon­ser­v­a­tiv­en Ther­a­piemöglichkeit­en sind erschöpft, er muss operiert wer­den. Auf den Oper­a­tionster­min wartet er zwölf Wochen.

  • ohne Präha­bil­i­ta­tion: Die Zeit ver­bringt Hubert zu Hause und schont sich. Die Oper­a­tion ver­läuft sehr erfol­gre­ich. Auf einen Reha-Platz wartet er zwei Wochen. In dieser Zeit eignet er sich mit den Krück­en seine eigene „Tech­nik“ an. Er entwick­elt eine Schon­hal­tung, welche die Lenden­wirbel­säule in Mitlei­den­schaft zieht. Nach einem drei­wöchi­gen sta­tionären Reha-Aufen­thalt geht es seinem Knie wieder gut, an den Hüftbeschw­er­den muss er mit einem niederge­lasse­nen Phys­io­ther­a­peuten weiterarbeiten.

  • mit Präha­bil­i­ta­tion: 
    Während der Wartezeit auf die Oper­a­tion bere­it­et Hubert sich aktiv auf die Oper­a­tion und die Zeit danach vor. Er trainiert bes­timmte Muskel­grup­pen und lernt jet­zt schon den kor­rek­ten Umgang mit Krück­en, die er nach der Oper­a­tion brauchen wird. Das alles geht ambu­lant neben der Arbeit. Die Oper­a­tion ver­läuft sehr erfolgreich.Nachdem es die Rah­menbe­din­gun­gen zu Hause erlauben, entschei­det er sich für eine ambu­lante Reha­bil­i­ta­tion. Dafür ist er die ersten bei­den Wochen täglich im Reha-Zen­trum, danach noch nach Bedarf. Wirbel­säu­len­prob­leme entwick­elt er nie, weil er von Beginn an keine Fehlhal­tung einnimmt.

Susanne hat Krebs. Eine Oper­a­tion ver­läuft erfol­gre­ich, jet­zt ste­ht noch eine Chemother­a­pie an.

  • ohne Präha­bil­i­ta­tion: Susanne bekommt die Chemother­a­pie. Die verträgt sie ein­mal bess­er und ein­mal schlechter.Die Ther­a­pie schlägt gut an, auf Neben­wirkun­gen wird nach Möglichkeit reagiert. Manche davon sind auch Monate danach noch da. Nach Abschluss der Ther­a­pie ist sie beim Hausarzt in Behand­lung, der die verbleiben­den Symp­tome behan­delt. Sie ist mehrere Monate zu Hause, um sich zu erholen.

  • mit Präha­bil­i­ta­tion: Ab dem Zeit­punkt der Diag­nose arbeit­et ein Team beste­hend aus Diä­tolo­gen, Phys­io­ther­a­peuten, Psy­cholo­gen und Ergother­a­peuten mit Susanne. Sie passt ihre Ernährung an, macht im Rah­men ihrer Möglichkeit­en gezieltes kör­per­lich­es Train­ing, um die Chemother­a­pie möglichst gut und mit weni­gen Neben­wirkun­gen zu über­ste­hen. Sie weiß, wie weit sie gehen kann und wird psy­chol­o­gisch unter­stützt. Die Ther­a­pie schlägt gut an, die Neben­wirkun­gen wer­den genau doku­men­tiert, wo möglich wird gegenges­teuert. Nach der erfol­gre­ichen Ther­a­pie ist sie in ambu­lanter onkol­o­gis­ch­er Reha­bil­i­ta­tion. Hier wird an allen Funk­tion­sstörun­gen mit einem geziel­ten Plan gear­beit­et. Auch der Wiedere­in­stieg in den Beruf wird geplant und begleitet.

Neue Herausforderungen und Möglichkeiten: Ein breites Fach mit viel Potenzial

Ger­ade der demografis­che Wan­del macht die Reha­bil­i­ta­tion zu einem immer wichtigeren Bestandteil der Gesund­heit­s­land­schaft. Hier geht es darum, Reha leist­bar zu hal­ten und flächen­deck­end neue Ange­bote zu schaf­fen, wie die ambu­lante Reha­bil­i­ta­tion oder mobile Vari­anten, wo Patien­ten auch zu Hause betreut wer­den können.

In der physikalis­chen Medi­zin geht es derzeit darum, die Reha­bil­i­ta­tion auf neue und passende Füße zu stellen. Dafür gibt es völ­lig neue Konzepte und Ansätze.

Zudem wer­den immer wieder neue Anwen­dun­gen erprobt, wie etwa durch den erweit­erten Ein­satz der Stoßwellen­ther­a­pie bei der Wund­be­hand­lung. Auch neue Gebi­ete inner­halb der physikalis­chen Medi­zin tun sich auf, so ste­hen beispiel­sweise ger­ade Ther­a­piemöglichkeit­en für Beschw­er­den im Bere­ich des Bindegewebes und der Faszien im Mit­telpunkt des Interesses.

Bewusstseinsbildung, Selbsthilfe und Inanspruchnahme der Reha

Dr. Gat­tringer wün­scht sich, dass das Wis­sen um die Möglichkeit­en der Physikalis­chen Medi­zin und der Reha­bil­i­ta­tion noch bess­er in die Öffentlichkeit getra­gen und so im Bewusst­sein der Bevölkerung ver­ankert wird. Ein weit­eres Ziel ist, dass pass­ge­naue indi­vidu­elle Reha­bil­i­ta­tion­s­möglichkeit­en für alle Patien­ten­grup­pen zur Ver­fü­gung stehen.

Zur Person

Prim. Dr. Daniela Gat­tringer, MSc ist Abteilungsvor­stand des 2013 gegrün­de­ten Insti­tuts für Physikalis­che Medi­zin und Reha­bil­i­ta­tion im Orden­sklinikum Linz, Barmherzi­gen Schwest­ern. Ihre Abteilung bietet als erste in Öster­re­ich seit 2015 eine ambu­lante Reha­bil­i­ta­tion für Kreb­spa­tien­ten an. Gat­tringer ist gebür­tige Linz­erin. 1999 pro­movierte sie an der Uni­ver­sität Wien. Nach der Aus­bil­dung zur All­ge­mein­medi­ziner­in im Kranken­haus der Barmherzi­gen Schwest­ern und dem All­ge­meinen Kranken­haus Linz begann Gat­tringer ihre Facharz­taus­bil­dung in Deutsch­land und been­dete diese im All­ge­meinen Kranken­haus Linz. Gat­tringer hat u.a. den Uni­ver­sität­slehrgang Gen­der­medi­zin an der Uni­ver­sität Wien sowie eine Osteopathie-Aus­bil­dung absolviert. Im Novem­ber 2012 wech­selte sie ins Kranken­haus der Barmherzi­gen Schwest­ern, wo sie für das Insti­tut für Physikalis­che Medi­zin und Reha­bil­i­ta­tion ver­ant­wortlich ist und dem Vinzen­zAm­bu­la­to­ri­um als ärztliche Direk­torin vorsteht.

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