„Ich geh mal schnell zum Mammi-Kreisel und sehe dann noch beim Leih-Laden vorbei! Kannst du bitte Bücher vom offenen Bücherregal mitbringen und den Brief dem Bernd mitgeben? Er holt diesen um 10 Uhr ab. Beeil dich bitte, unser Gast aus Holland kommt am Nachmittag. Die Couch muss noch bezogen werden, Handtücher sind schon gewaschen.”
So könnten wir sprechen, wenn wir Teil einer Share Economy sind und den eigenen Besitz, die eigenen Bedürfnisse vermarkten (müssen). Unser Alltag strukturiert sich in einer Ökonomie des Teilens gravierend um. Die Gefahr dabei: Wir kommerzialisieren uns.
Das gemeinschaftliche Nützen von Ressourcen entwickelt sich seit 2005 hin zu einer neuen Form der Wirtschaft. Der Trend nennt sich: Share Economy, Ökonomie des Teilens. Eine aktuelle Studie des Gottlieb Duttweiler Institutes (GDI) in St. Gallen, Schweiz, sagt, dass rund 85 Prozent der Internet-User dem Teilen gegenüber aufgeschlossen sind. Ressourcen, die geteilt werden können, sind dabei Infrastrukturen, Software, Inhalte und Wissen sowie Gegenstände. Daraus entwickelt sich ein neues Lebensmodell, das beispielsweise zu Cluster-Wohnen, Alters-Wohngemeinschaften oder auch gemeinschaftlichen Mobilitätskonzepten führt.
Über die Motive, sich dem Teilen gegenüber aufgeschlossen zu zeigen, gibt die Studie keine Auskunft. Denn Aufgeschlossenheit kann auch durch äußere Lebens- und Erwerbsumstände erzwungen sein.
Das GDI meint ferner, dass sich bis 2025 ganz besonders unser Mobilitätsverhalten verändern wird. Wir werden zwar mobiler, gestalten aber diese Mobilität gemeinschaftlicher und damit effektiver. Stichwort Schonung der Ressourcen durch Car-Sharing.
Wir gehen also in ein „Facebook der Dinge”, oder in ein „Sharing & Pooling”, so das GDI. Die Technologien dazu sind mit Internet, Smartphones, Tabletts und Apps bereits vorhanden.
Neue Spielart des Konsums
Wir teilen Arbeitskraft, Gärten, Bücher, Kleidung, Wissen, eine Couch im Wohnzimmer, Autos, Haushaltsgeräte und Werkzeug. Wir kaufen gemeinschaftlich Versicherungen ein, finanzieren journalistische Projekte als Crowd, bringen anderen Menschen etwas aus unserem Urlaubsort mit, und bessern damit unser Haushaltsbudget auf. Wir führen für andere Menschen Pakete und Briefe in unseren Privatautos mit, stellen diese zu oder spielen Taxi. Wir beteiligen uns an Landwirtschaften mit einem Fixbetrag, fördern damit biologische Lebensmittelproduktion. Tragen aber auch das finanzielle Risiko mit den LandwirtInnen, wenn es dabei zu Ernte- und Ertragsausfällen kommt. Wir kaufen als Gemeinschaft Lebensmittel oder Waren ein, um bessere Preise zu erzielen.
Die Unternehmensberatung Progenium in Deutschland meint dazu: Der Marktwert für Carsharing wird 2017 in Deutschland bereits 200 Millionen Euro betragen. Tendenz steigend. Der Grund zum geteilten Auto zu greifen wird von Progenium, neben unregelmäßiger Einkommen der Generation X und Generation Y (alle ab den 1970er Jahren Geborenen) und steigenden Wohnkosten in den Ballungsräumen, mit einem Anstieg der Vollkosten für einen Privat-PKW angegeben.
Wer sich den gewohnten Konsum nicht mehr leisten kann, beginnt erzwungenermaßen zu teilen. Da lässt es sich leicht, dem Thema gegenüber „aufgeschlossen” zu sein.
Ein Milliarden-Geschäft
Das Teilen wäre keine Form der Ökonomie, wenn der Trend nicht aus dem Mutterland des Konsums käme. Rachel Botsman, amerikanische Vordenkerin der Share Economy, schätzt deren Marktpotenzial im US-amerikanischen Raum auf rund 850 Milliarden US-Dollar. Man darf dabei berücksichtigen, die Wirtschaft der USA wird vom privaten Konsum getragen. Nicht von Produktion, sondern von Konsum. Share Economy verspricht also Profit. Enormen Profit.
Im Zuge dieses Trends der Share Economy wird außer Acht gelassen, dass sich die eigentlichen Profiteure dieser ökonomischen Variante auf wenige große Player zu konzentrieren beginnen. Denn den eigenen Besitz für ein Zubrot teilen zu müssen, weil die Einkommen des Mittelstandes seit dem Finanzcrash 2008 deutlich sinken, nützen geschickt Privatunternehmen wie Car Sharing Anbieter, Mitfahrbörsen, Zustelldienste, Plattformen zur Vermietung des eigenen Gästezimmers, der eigenen Couch im Wohnzimmer. Diese Anbieter und Profiteure stellen die Infrastruktur der Share Economy oft zumeist als Start-Up Unternehmen zur Verfügung. Das „Facebook der Dinge” kennt nur Marktpotenzial in Form von Ressourcen und Effizienz.
Steuerfreie Zone?
Dazu gesellt sich ein weiterer Aspekt der Ökonomie des Teilens. Wie hebt man eine Steuer ein, für ein Gästezimmer, das man mittels privaten Sharing-Plattformen vermietet? Und mit dessen Erlös man einen wichtigen Teil des persönlichen Haushaltsbudgets erwirtschaftet. Was stellt der Fahrbeitrag einer Mitfahrbörse finanztechnisch dar? Ist dieser ein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit als Mobilitätsdienstleister? Soll man hier von einem Verlust an Steuereinnahmen auf volkswirtschaftlicher Sicht sprechen, wenn immer mehr Menschen ein Zubrot in der Share Economy verdienen? Eine kritische Diskussion dazu ist gerade im Entstehen. Eine differenzierte Sicht dieses ökonomischen Trends ist dringend nötig.
Mensch als Ware
Die Share Economy schafft unser Privatleben ab. Wir machen uns und unseren Besitz zur Ware, wir kommerzialisieren uns. Wir werden zum zu teilenden Ding, das man effizient nützen, benützen kann. Jederzeit, von jedem Ort aus online, rund um die Uhr. Wir bieten uns als Konsumartikel im öffentlichen Raum an, indem wir Briefe, Koffer, Tiere, Lebensmittel für Andere transportieren oder für Fremde Urlaubsmitbringsel einkaufen. Wir sind via Sharing-Plattformen an jedem Ort der Welt auffindbar und erreichbar. Wir legen einen Strip unseres Privatlebens hin.
Dazu kommt, dass auf Sharing-Plattformen die Qualität unserer Leistung, die wir dort anbieten, von den Konsumenten bewertet wird. Boni gibt es bereits für pünktliche Zustellung eines Briefes oder für eine freundliche und sichere Fahrt von A nach B. Gar für die passend gewählte Musik oder das richtige Gesprächsthema im Auto.
Besonders bedenklich ist diese Begleiterscheinung der Bewertung von Teilnehmern an der Share Economy, wenn uns unsere schwindenden monatlichen Einkommen zum Teilen zwingen. Dann wird aus dem Teilen ein kollektiver Zwang. Dann hat sich die Gesellschaft endgültig dem Konsum unterworfen und sieht in ihren Individuen zu bewertende „Dinge”.
Hilfe statt ökonomischem Nutzen
Echtes Teilen wäre Schenken. Ohne dafür Geld zu nehmen. Denn hier fehlt das Profitdenken, hier arbeitet eine überschaubare Anzahl an Menschen aus freien Stücken zusammen, schenkt sich gegenseitig Arbeitskraft oder jene Zeit, um ein Gerät, einen Ort, ein Auto mit zu nützen. Im Sinn der ursprünglichen Nachbarschaftshilfe.
Echtes Teilen wäre auch in klassischen Tauschkreisen oder bei Regionalwährungen gegeben. Man teilt dann das Geld untereinander, wobei dieses in der Gemeinschaft bleibt, nicht einigen wenigen Profiteuren des Systems zufließt und von diesen aus der Gemeinschaft abgezogen wird. Echtes Teilen erkennt auch Menschen und ihre Fähigkeiten, ihre Talente an. Es kennt kein Effizienzdenken und sieht auch keinen Marktwert in den Daten und Adressen ihrer Gemeinschaft. Es lässt Anteile zufließen und stellt Ressourcen gemeinsam zur Verfügung.
Die Share Economy täte gut daran einen öffentlichen kritischen Diskurs über sich selbst zu führen. Und sich Anleihe bei einem Österreicher und Träger des Alternativen Nobelpreises für die Ausrichtung ihres Handelns und Strebens zu nehmen. Nämlich bei Leopold Kohr. Er meinte: „Institutionen sollten klein bleiben, wollen sie den Menschen nicht zerquetschen.”
Eine sich zum Milliarden-Deal unreflektiert entwickelnde Share Economy läuft nämlich Gefahr zur Institution unserer westlichen Gesellschaft zu werden, institutionellen Charakter zu entwickeln. Sie läuft bereits Gefahr, den Menschen in seinem privaten ursprünglichen Sein mit eigener Größe und Effizienzstreben zu zerquetschen.
Über die Autorin
Angelika Wohofsky, Autorin und Fotografin, Küchengärtnerin. Gelernte Geografin und Germanistin. Leidenschaft für nachhaltige Lebenskonzepte.