Unser Gesundheits- und Sozialwesen im Spannungsfeld von Corona

Erkenntnisse für eine krisensichere und effiziente Daseinsvorsorge

Die COVID-19-Pan­demie lässt keinen Stein auf dem anderen und fordert die Gesellschaft in allen Bere­ichen. Im Zen­trum der Bekämp­fung des Virus befind­et sich unser Gesund­heits- und Sozialwesen.

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ACADEMIA SUPERIOR, die Vinzenz Gruppe und die Elis­a­bethi­nen Linz-Wien haben bewusst nicht die Per­spek­tive des täglichen Krisen­man­age­ments ein­genom­men, son­dern nach Maß­nah­men gesucht, die das Gesund­heits- und Sozial­we­sen langfristig krisen­sicher­er machen kön­nen. Gemein­sam mit Exper­tin­nen und Experten hat man sich deshalb fol­gende Fra­gen gestellt:

Welche Aspek­te sind in der Koop­er­a­tion zwis­chen Organ­i­sa­tio­nen aus unter­schiedlichen Sek­toren sicht­bar gewor­den? Was hat sich bewährt? In welchen Bere­ichen waren Vor­gaben hil­fre­ich, wo waren sie hin­der­lich? Wo braucht es Autonomie, wo Reg­ulierung? Wie gestal­tet sich die Bal­ance zwis­chen Effizienz und Krisen­sicher­heit? Welch­er Stel­len­wert kommt Konzepten der Eigen­ver­ant­wor­tung und Gemein­wohlver­ant­wor­tung für eine gelin­gende öffentliche Gesund­heitsver­sorgung – von der Präven­tion bis hin zur Reha­bil­i­ta­tion – zu?

Acht Befunde sind das Ergeb­nis der Arbeit, die sich mit der struk­turellen Sicht des Gesund­heits- und Sozial­we­sens befasst und aufzeigt, welche Beiträge jede und jed­er Einzelne dazu leis­ten kann.

Befund 1: Kooperation braucht einen Rahmen und gegenseitiges Vertrauen.

Damit Organ­i­sa­tio­nen aus unter­schiedlichen Sek­toren effizient und effek­tiv kooperieren kön­nen, braucht es einen ver­trauensvollen Rah­men, der

  1. im Zuge der Krise von drit­ter Stelle ein­gerichtet wird (z. B. Krisenstäbe),
  2. bere­its etablierte formelle Struk­turen der Zusam­me­nar­beit sowie aus­re­ichend Erfahrun­gen und wech­sel­seit­iges Ver­trauen vere­int und
  3. beste­hende informelle Struk­turen stärkt, die in der Krise for­mal­isiert wer­den können.
Empfehlungen für die Gesundheits- und Sozialorganisationen:

Der regelmäßige Aus­tausch und die Ver­net­zung zwis­chen unter­schiedlichen (Träger-) Organ­i­sa­tio­nen sollte in „nor­malen“ Zeit­en gefördert wer­den, um Net­zw­erke und Ver­trauen­sauf­bau zu unter­stützen. Beispiele: Auf­bau und Erhalt von Sozialka­p­i­tal durch Kon­feren­zen, Tagun­gen, Net­zw­erk­tr­e­f­fen, Aus­tausch­pro­gramme etc.

Empfehlungen für die Politik und öffentliche Institutionen:

Zusät­zlich zu bere­its existieren­den Koop­er­a­tio­nen kön­nten regelmäßige öster­re­ich­weite Krisenübun­gen mit allen geforderten Ein­rich­tun­gen (Blaulich­tor­gan­i­sa­tio­nen, Ver­wal­tung, Kranken­häuser etc.) geplant wer­den. Weit­ers soll ein zen­trales Beratungs­gremi­um mit kon­stan­ter Beset­zung an Exper­tin­nen und Experten (wieder) einge­set­zt werden.

 

Befund 2: Digitalisierung begünstigt die Kommunikation.

Dig­i­tal­isierung erweist sich als wichtiger „enabling fac­tor“ für kurze und klare Informations‑, Kom­mu­nika­tions- und Entschei­dungswege in der Koop­er­a­tion der Organ­i­sa­tio­nen und Insti­tu­tio­nen. Auch in der Behand­lung von Pati­entin­nen und Patien­ten haben sich während der Pan­demie die Vorteile der Dig­i­tal­isierung gezeigt.

Empfehlungen:

Dort, wo Dig­i­tal­isierung mas­sive Effek­tiv­itäts- und Effizien­zsteigerung mit sich bringt, sollte sie umge­set­zt wer­den („quick wins“). Die durch die Pan­demie geförderten Fortschritte in der Telemedi­zin, z. B. im Pflege­bere­ich und bei Ver­schrei­bun­gen, soll­ten gesichert und aus­ge­baut werden.

 

Befund 3: Digitalisierung und telemedizinische Gesundheitsdienstleistungen schaffen Flexibilität.

Die dig­i­tale und telemedi­zinis­che Kom­mu­nika­tion zwis­chen Pati­entin­nen und Patien­ten und Gesund­heit­sein­rich­tun­gen schafft im Krisen­fall Flex­i­bil­ität und ent­lastet das Sys­tem. Beispiele aus Oberöster­re­ich dazu: Hautverän­derun­gen per App fotografieren und inner­halb von 48 Stun­den Erst­be­fund erhal­ten; Fer­nalarm für Kar­di­olo­gie-Pati­entin­nen und ‑Patien­ten; Onkolo­gie-Selb­sthil­fe­gruppe per Videokonferenz.

Empfehlungen:

Dort, wo evi­denzbasiert die Vorteile für die Pati­entin­nen und Patien­ten über­wiegen, sollte die Dig­i­tal­isierung in der Ärztin-/Arzt-Pati­entin­nen-/Pa­tien­ten-Beziehung umge­set­zt wer­den. Oft kön­nen Skep­tik­erin­nen und Skep­tik­er durch pos­i­tive Prax­is überzeugt wer­den. Gle­ichzeit­ig müssen nicht-dig­i­tale Ange­bote für Diag­nose und Ther­a­pie unbe­d­ingt für all jene aufrechter­hal­ten wer­den, die die dig­i­tal­en Ange­bote nicht annehmen kön­nen oder wollen.

 

Befund 4: Einheitliche Spielregeln, Richtlinien und Standards verhindern Konflikte.

Fehlende Stan­dards und unklare Spiel­regeln bzw. Richtlin­ien fördern Kon­flik­te und Konkur­renz zwis­chen den Organ­i­sa­tio­nen unter­schiedlich­er Träger und Sektoren.

Empfehlungen:

Wo immer möglich, soll­ten Regeln und Stan­dards har­mon­isiert wer­den. Die Gren­zen der Har­mon­isierung auf­grund von Prak­tik­a­bil­ität­ser­wä­gun­gen oder dem Sub­sidiar­ität­sprinzip müssen klar markiert und kom­mu­niziert werden.

 

Befund 5: Gemeinwohlorientierung ist das Fundament für Vertrauen und Kooperation.

Eine gemein­same Mis­sion und Gemein­wohlo­ri­en­tierung bilden ein wichtiges Fun­da­ment für Ver­trauen und Koop­er­a­tion im Krisen­fall. Trägervielfalt ist ein Vorteil, wenn nicht der Gewinn, son­dern das Gemein­wohl im Vorder­grund steht.

Empfehlungen:

Die Bedeu­tung der Trägervielfalt ger­ade in Krisen­zeit­en in Verbindung mit der Gemein­wohlo­ri­en­tierung im Gesund­heits- und Sozial­we­sen sowie der Daseinsvor­sorge soll sicht­bar gemacht und weit­er gefördert werden.

 

Befund 6: Das österreichische Gesundheitssystem genießt hohes Vertrauen. Transparenz erhält es auch im Krisenmodus.

Das öster­re­ichis­che Gesund­heitssys­tem, seine exzel­lente Medi­zin und Pflege, seine Struk­tur, die Trägervielfalt und die Koop­er­a­tio­nen genießen hohes Ver­trauen. Um dieses auch bei reduzierten Gesund­heit­sleis­tun­gen im Krisen­modus zu erhal­ten, bedarf es klar­er Kom­mu­nika­tion und wider­spruchs­freier Regeln.

Empfehlungen:

Unsichere Daten­la­gen und Wis­senslück­en soll­ten offen kom­mu­niziert wer­den. Maß­nah­men kön­nen sich verän­dern, wenn sich der Wis­sens­stand verän­dert. Daher soll­ten die Grund­la­gen für Entschei­dungs­find­un­gen trans­par­ent dargestellt wer­den. Unter­schiedliche Bil­dungsniveaus und Sprachken­nt­nisse in der Bevölkerung sind dabei zu berücksichtigen.

Entschei­dend für den Erfolg pro­fes­sioneller Kom­mu­nika­tion ist eine präzise Abstim­mung, wer wann wie informiert wird. Insti­tu­tio­nen, die Anord­nun­gen umset­zen müssen, soll­ten vor der bre­it­en Öffentlichkeit über neue Maß­nah­men informiert wer­den. Zwis­chen den Instanzen, die Anord­nun­gen erlassen, und jenen, die sie umset­zen müssen, braucht es inten­siv­en Informationsaustausch.

 

Befund 7: Zur Stärkung der Gesundheitskompetenz sind Bildungssystem und Medienöffentlichkeit gefordert.

Um eigen­ver­ant­wortlich im Sinne der eige­nen Gesund­heit han­deln zu kön­nen, braucht es Wis­sen, klare Infor­ma­tion und Kön­nen, d. h. „Gesund­heit­skom­pe­tenz“. Hier sind das Bil­dungssys­tem und die Medi­enöf­fentlichkeit beson­ders gefordert.

Empfehlungen:

Men­schen wollen eigen­ver­ant­wortlich han­deln. Dafür brauchen sie aber auch das nötige Wis­sen und Per­sön­lichkeit­sen­twick­lung. Laut OECD-Analy­sen hat Öster­re­ich bei Fra­gen der Gesund­heit­skom­pe­tenz (Health Lit­er­a­cy) großen Aufholbe­darf. Das Wis­sen um die Bedeu­tung von gesun­der Ernährung, kör­per­lich­er Bewe­gung und einem gesun­den Lebensstil sollte in allen Bere­ichen unser­er Gesellschaft gefördert wer­den. Eine wesentlich höhere Gesund­heit­skom­pe­tenz ermächtigt jede und jeden Einzel­nen dazu, selb­st aktiv einen Beitrag zur eige­nen Gesund­heit zu leis­ten (bspw. The­ma Impfungen).

 

Befund 8: Ein unsicherer „Krisen-Alltag“ braucht Standard Operating Procedures (SOPs).

Die sit­u­a­tiv­en „Anforderun­gen der Umge­bung“ sind ger­ade in der COVID-19-Krise enorm hoch, weil sie kom­plex, dynamisch und voller Wider­sprüche sind. Eigen­ver­ant­wortlich­es Han­deln befind­et sich in der COVID-19-Krise oft in einem unau­flös­baren Dilem­ma. Generell braucht es neben Eigen­ver­ant­wor­tung vor allem Ver­ant­wor­tung für andere und das Gemein­wohl, um Gesund­heits- und Sozialkrisen erfol­gre­ich bewälti­gen zu können.

Empfehlungen:

Hochkom­plexe Sit­u­a­tio­nen erfordern für eigen­ver­ant­wortlich­es Han­deln aus­re­ichend Infor­ma­tion und Wis­sen. Ist dieses nicht ver­füg­bar, bedarf es klar­er und ein­deutiger Stan­dard­maß­nah­men (SOPs – Stan­dard Oper­at­ing Pro­ce­dures), wie sie z. B. in risiko- bzw. unsicher­heits­be­hafteten Bere­ichen (Luft­fahrt, Medi­zin, Bergsport etc.) seit Langem üblich sind. Das sind klare Vor­gaben (z. B. in Bezug auf Schutzaus­rüs­tung und Ver­hal­tensweisen) in Abhängigkeit von Warn­stufen, die nicht hin­ter­fragt wer­den und ein­heitlich gel­ten. Im Fall der Coro­na-Pan­demie heißt das, dass Stan­dard­maß­nah­men, wie etwa Masken­tra­gen, aus­re­ichend Abstand hal­ten, Hand­hy­giene etc., all­ge­mein akzep­tiert und einge­hal­ten werden.

Stan­dard­maß­nah­men müssen leicht ver­ständlich sein, in ihrer Wirk­samkeit nachgewiesen und ihre Ein­hal­tung zur Regel und Norm werden.