Welche tech­nol­o­gis­chen Entwick­lun­gen wer­den schon in näch­ster Zeit in unser Gesund­heitswe­sen Einzug hal­ten? Welche Verän­derun­gen wer­den sie mit sich brin­gen? Welche Auswirkun­gen haben sie auf zwis­chen­men­schliche Beziehun­gen im Gesund­heitswe­sen? Und wie kön­nen wir uns darauf am besten vorbereiten?

Diese Fra­gen standen im Zen­trum eines Experten­work­shops am 16. Mai, den ACADEMIA SUPERIOR, die Vinzenz Gruppe und elis­a­bethi­nen linz.wien organ­isierten. Gemein­sam wurde an The­sen zum dig­i­tal­en Gesund­heitssys­tem der Zukun­ft gearbeitet.

 

Die Expert*innen prog­nos­tizieren, dass kün­stliche Intel­li­genz (Arti­fi­cial Intel­li­gence, AI) in zehn Jahren zum unverzicht­baren Berater („Chief Con­sul­tant“) von Ärzt*innen und Patient*innen wer­den wird. AI wirkt unter­stützend in allen Diag­nose- und Ther­a­pieprozessen, da AI in Zukun­ft immer klüger wird, aber auch gün­stiger in Anschaf­fungs- und Betrieb­skosten. Dadurch wird ein Leben ohne AI wed­er für Ärzt*innen noch für Patient*innen vorstell­bar sein.

These 1

In zehn Jahren hat jed­er Men­sch einen dig­i­tal­en Zwill­ing. Ähn­lich wie derzeit bere­its Maschi­nen und Gebäude, set­zt sich dieser Zwill­ing aus selb­st gesam­melten per­sön­lichen Dat­en (Track­ing Devices, Lifestyle-Apps, etc.) und medi­zinis­chen Befun­den zusam­men. Die Daten­ho­heit liegt bei den Patient*innen. Zusät­zlich besitzt jed­er Patient einen Genom-Ausweis.

Patient*innen entschei­den über die Nutzung dieser Dat­en für ihre Gesund­heit (Diag­nos­tik, Behand­lung, …), ihr Wohlbefind­en und ihre Leben­s­pla­nung selb­st. Damit prägt Europa ein eigenes Mod­ell im Gegen­satz zu den USA und Chi­na, wo die Daten­ho­heit nicht bei den Bürger*innen liegt. Innereu­ropäisch erfol­gt ein Par­a­dig­men­wech­seln, weil der Staat nicht mehr volles Ver­trauen in Bezug auf das Man­age­ment von Gesund­heits­dat­en genießt.

These 2

In zehn Jahren wird es eine zen­trale, kuratierte und vali­dierte Wis­sens- und Daten­plat­tform für Gesund­heit geben, welche die eigentliche “Intel­li­genz” darstellt und einen enor­men Wis­senszuwachs ermöglicht.

Der Zweck der Plat­tform ist es, durch große Daten­men­gen und Algo­rith­men Vorher­sagen zu per­son­al­isierten Risiken und Vorschläge für Diag­nosen, Ther­a­pi­en und präven­tive Ver­hal­tensweisen maß­gen­schnei­dert für den einzel­nen Patien­ten zu gener­ieren. Es kön­nte sich hier­bei sowohl um eine einzige World Wide Med­ical Cloud-Lösung han­deln als auch um mehrere, dezen­trale Cloud-Mod­elle. Wem diese Wis­sens- und Daten­plat­tform gehört, ist noch offen.

Die Plat­tform wird durch anonymisierte Dat­en des Dig­i­tal­en Zwill­ings (siehe These 1) gespeist. Für die Patient*innen bietet die Plat­tform in Zusam­men­wirken mit ihren indi­vidu­ellen Dat­en aber nicht nur die Möglichkeit, z.B. einen spez­i­fis­chen Diag­no­sevorschlag für ein bes­timmtes Prob­lem abzu­rufen, son­dern sie stellt auch ein Leit­sys­tem durch das Gesund­heitssys­tem bere­it: Patient*innen kön­nen einen indi­vidu­elle Behand­lungsp­fad (Ende-zu-Ende-Prozess) für ein bes­timmtes Prob­lem abrufen. Damit wer­den die Patient*innen ermächtigt, selb­st­bes­timmt Entschei­dun­gen zu tre­f­fen, u.a. welchen der vorgeschla­ge­nen Behand­lungsp­fade sie einschlagen.

Ein prak­tis­ches Beispiel: Ein Patient bemerkt Blut im Stuhl. Durch den Zugriff auf die eige­nen Gesund­heits­dat­en (per­sön­liche und medi­zinis­che Befunde, s. These 1) kann er eine mögliche Diag­nose erstellen lassen und gle­ichzeit­ig das näch­ste Schw­er­punk­tkranken­haus im Sys­tem find­en. Zusät­zlich wird der richtige Spezial­ist angezeigt und mögliche Optio­nen aufgezeigt: Ob sich der Patient für eine ambu­lante oder sta­tionäre Behand­lung entschei­det, liegt bei ihm selb­st. Auch die Wiedere­in­speisung sein­er Dat­en, die aus der Behand­lung entste­hen (anonymisiert in der Wis­sensplat­tform), in Sys­tem, ist möglich.

These 3

Sen­sorik in, am und um den Men­schen wird vom Mut­ter­leib bis zur Bahre eine Rolle spie­len. Automa­tis­che Warn- und Diag­nosesys­teme wer­den indi­vidu­elle Risiken und Kosten reduzieren und so die Prozesse des Lebens beeinflussen.

Tech­nolo­gien wie z.B. implantierte Chips oder auch Wear­ables (am Kör­p­er getra­gene Smart-Devices), wer­den es ermöglichen, per­ma­nent den eige­nen Gesund­heitssta­tus abzu­rufen und Ver­hal­tensweisen danach auszuricht­en. Der Cyborg, also ein Men­sch mit Maschi­nen­teilen, ist damit keine Sci­ence-Fic­tion mehr, son­dern gelebtes Gesund­heit­skonzept ein­er bre­it­en Masse.

These 4

In zehn Jahren wer­den Gesund­heit­sentschei­dun­gen im Wohnz­im­mer getrof­fen, Spitäler in der heuti­gen Form wird es in zehn bis zwanzig Jahren so nicht mehr geben.

Tech­nol­o­gis­che Entwick­lun­gen, aber auch Kos­ten­druck wer­den die Gesund­heits­di­en­stleis­ter mas­siv verän­dern. Ins­beson­dere wer­den Präven­tion und Nach­sorge aus dem Kranken­haus in den niederge­lasse­nen Bere­ich bzw. in die Woh­nun­gen der Patient*innen ver­lagert wer­den. Dazu wer­den Patient*innen bzw. Ange­hörige mit mobilen Selb­st­di­ag­nose- und Ther­a­piegeräten aus­ges­tat­tet sein. Die nötige Infra­struk­tur (z.B. schnelle Inter­netverbindun­gen) sind vorhan­den. Ärzt*innen und Pflegeper­so­n­en sind darin geschult, Anweisung aus der Dis­tanz zu geben.

Aber auch die Anzahl und Art von Play­ern im Gesund­heitssek­tor unter­liegt einem großen Wan­del: Eine Vielzahl an neuen Anbi­etern von Gesund­heits­di­en­stleis­tun­gen, die nicht aus dem Gesund­heitssek­tor kom­men, wer­den tra­di­tionelle Organ­i­sa­tio­nen herausfordern.

Am Ende der Kette ste­hen ermächtigte Patient*innen, an denen alle Prozesse und Dien­stleis­tun­gen aus­gerichtet sind (Patien­ten­zen­tri­ertheit), und die als Steuer­man­n/-frau ihre Gesund­heits-Reise selb­st bestimmen.

These 5

In zehn Jahren wird die Rekon­struk­tion von Kör­perteilen für die bre­ite Masse leistbar.
Mate­ri­alien und Prozesse zur Rekon­struk­tion von Kör­perteilen wer­den in Zukun­ft gün­stig ange­boten wer­den. Z.B. kön­nen Keramik-Teile aus dem 3D-Druck­er in gün­stiger Form maßgeschnei­dert pro­duziert wer­den. Dies wird auch für kom­plexere Sys­teme gel­ten. Das Erset­zen von nicht mehr opti­mal funk­tion­ieren­den Kör­perteilen bis hin zum Tausch von Glied­maßen (z.B. ein Fuß mit funk­tionellen Störun­gen) und Gelenken wird damit sog­ar in der Präven­tion zur Nor­mal­ität gehören. Das ermöglicht Men­schen nicht nur im Alter eine Erhöhung der Leben­squal­ität, son­dern wird auch bei jün­geren Men­schen zur Leis­tungssteigerung einge­set­zt werden.

These 6

Die Antithese: In zehn Jahren wird die starke tech­nis­che Durch­dringung von Diag­nose- und Ther­a­pieprozessen eine Aufw­er­tung der direk­ten sozialen Inter­ak­tion im Gesund­heitswe­sen bewirken.

Es ist davon auszuge­hen, dass tech­nis­che Möglichkeit­en in Diag­nose- und Ther­a­pieer­stel­lung weniger kosten wer­den (und auch im Leis­tungskat­a­log weniger hoch remu­ner­iert wer­den), als das per­sön­liche Gespräch mit einem Arzt oder der Pflegeper­son, die Ori­en­tierung geben kann und durch den großen Dschun­gel der Gesund­heit­sange­bote führt. Diese Beziehungs- und indi­vidu­elle Beratungsleis­tung wird das eigentlich Wertvolle sein.


In einem weit­eren Work­shop wer­den diese The­sen auf ihre prak­tis­chen Kon­se­quen­zen für das heimis­che Gesund­heitssys­tem durch­leuchtet. Die abschließen­den Ergeb­nisse wer­den am 25. Juni im OÖNachricht­en Forum präsentiert.

Teilnehmer*innen des Workshops:

FH-Prof. Dr. Hubert Egger, FH Oberöster­re­ich
DI Wolf­gang Frei­seisen, RISC Soft­ware GmbH
Dr. Chris­t­ian Gier­linger, Elis­a­bethi­nen Linz
Markus Holz­er, Con­textflow
Mag. Raimund Kaplinger, Orden­sklinikum Linz
Annemarie Kramser, Vinzenz Gruppe
Mag. Albert Ortig, Netur­al Group GmbH
Mag. Oliv­er Ren­del, Barmherzige Schwest­ern Ried
Dr. Clau­dia Schwarz, Acad­e­mia Superior
Dr. Mag. Her­mann Siko­ra, Raif­feisen Software
Dr. Adolf Sonnleit­ner, Mind­breeze Illu­mi­nat­ing Solutions
Ger­fried Stock­er, Ars Elec­tron­i­ca
FH-Prof. Dr. Mar­tin Zauner, FH Oberöster­re­ich

Mod­er­a­tion: Dr. Ger­traud Leimüller und Sil­via Wasser­bach­er-Schwarz­er, BA, MA von Win­no­va­tion

Das Pro­jekt ist eine Koop­er­a­tion von:

Pre­dic­tive Futures – Die Ver­mes­sung der Zukunft

Im Rah­men des Jahress­chw­er­punk­tes auf „gesellschaftliche Fol­gen der Entwick­lung von Kün­stlich­er Intel­li­genz“ organ­isiert ACADEMIA SUPERIOR mehrere Expertenge­spräche. Der Work­shop „Dig­i­tal Health: Tech­nolo­gien, Inno­va­tion, Per­spek­tiv­en“ wurde in Koop­er­a­tion mit der Vinzenz Gruppe und elis­a­bethi­nen linz.wien organisiert.