Michal Kosinski: Du bist das Produkt

Das Interview beim Symposium 2019 zusammengefasst von Dr. Melinda Crane

Wenn Sie ein reger Nutzer eines Smart­phones sind, hin­ter­lassen Sie dabei Ihre dig­i­tal­en Fußab­drücke. Wenn Sie Ihr Smart­phone weg­w­er­fen, sind Sie abgeschnit­ten – von sozialen Net­zw­erken, von der Möglichkeit, Ihre Fam­i­lie zu kon­tak­tieren. Das geht, wenn Sie der CEO eines großen Unternehmens sind, weil Sie Per­son­al haben, aber wenn Sie eine allein­erziehende Mut­ter mit zwei Jobs sind, kön­nen Sie ohne ein Smart­phone nicht überleben.

Sie hin­ter­lassen Spuren bei der Nutzung des Inter­nets, Ihres Browsers, Ihres Face­book Accounts, Ihrer E‑Mail. Und nun stellen Sie sich vor, Sie geben das alles auf und sind wieder in der Steinzeit. Aber wenn Sie in Ihr Auto ein­steigen, wer­den Bilder von Ihrem Auto, Ihrem Num­mern­schild und auch von Ihrem Gesicht von Überwachungskam­eras auf Auto­bah­nen, Gren­zübergän­gen und Kam­eras in Städten aufgenom­men. Mit der Gesicht­serken­nung­stech­nolo­gie kön­nen wir Gesichter sehr ein­fach mit Online-Pro­filen abgle­ichen, was im Wesentlichen bedeutet, dass man dem dig­i­tal­en Fußab­druck nicht entkom­men kann. Ver­suchen Sie nicht, keine dig­i­tal­en Fußspuren mehr zu hin­ter­lassen. Sie kön­nen die Uhr nicht zurück­drehen. Mod­erne Tech­nolo­gie verän­dert unser Leben in viel­er­lei Hin­sicht zum Besseren, aber sie beruht darauf, dass wir Dat­en teilen.

PREDICTIVE ANALYSIS WURDE BEREITS EINGESETZT, BEVOR ICH MEINE FORSCHUNG BEGANN.

Ich denke, dass es mit der Pri­vat­sphäre im Grunde vor­bei ist. Man kann Google reg­ulieren, man kann Face­book reg­ulieren, man kann ver­suchen, die eigene Regierung zu kon­trol­lieren. Die rus­sis­che Regierung kann man nicht reg­ulieren, man kann Hack­er nicht reg­ulieren, man kann die kleinen Unternehmen nicht reg­ulieren, die wir nicht am Radar haben und denen das egal ist. Außer­dem ist es äußerst schwierig, die Men­schen davon zu überzeu­gen, weniger effiziente, teurere und lang­weiligere Tech­nolo­gien einzusetzen.

Das Geschäftsmod­ell sieht so aus: Wenn du etwas umson­st bekommst, bist du selb­st das Pro­dukt. Und schauen Sie, das Mod­ell hat auch seine Vorteile. Jet­zt kann eine unter­priv­i­legierte Per­son, die in Polen lebt, wo Google mit kosten­losen Suchergeb­nis­sen noch nicht wirk­lich viel zu gewin­nen hat, Zugang zu dieser wun­der­schö­nen und strahlen­den Tech­nolo­gie haben, weil ihre Entwick­lung von Wer­be­treiben­den finanziert wurde, die um die Aufmerk­samkeit der Amerikan­er buhlen.

Ver­suchen wir nun, die Diskus­sion neu zu fokussieren und zwar weg davon, etwas schützen zu wollen, das sowieso ver­loren ist. Ver­suchen wir stattdessen, den Über­gang in eine Welt nach der Pri­vat­sphäre so zu gestal­ten, dass der Nutzen für die Gesellschaft max­imiert und die Risiken min­imiert wer­den. In einem solchen Kon­text ist mehr Trans­parenz bess­er als weniger Trans­parenz. Man kön­nte sagen, dass Face­book und Google gezwun­gen wer­den soll­ten, ihre Dat­en bre­it­ge­fächert zu teilen, anstatt ein Monopol darauf zu haben. Sie soll­ten dazu ermutigt wer­den, Dat­en nicht nur mit Uni­ver­sitäten und Regierun­gen, son­dern auch mit Start-ups zu teilen.

Wed­er der per­fek­te Algo­rith­mus noch die per­fek­te Vorher­sage der Zukun­ft existieren. Es wird immer eine gewisse Befan­gen­heit geben. Aber man sollte die Qual­ität von etwas nicht messen, indem man es mit Per­fek­tion ver­gle­icht. Man sollte die Qual­ität messen, indem man sie mit Alter­na­tiv­en ver­gle­icht. Und unsere Alter­na­tive zum befan­genen Algo­rith­mus ist jet­zt ein noch befan­gener­er Richter. Oder Polizist. Oder ein gelang­weil­ter und müder Zoll­beamter, der auf­grund von Geschlecht, Alter oder ras­sis­chen Vorurteilen Men­schen aufhal­ten kann.

Solange wir solche Gespräche führen wie hier, bewe­gen wir uns in die richtige Rich­tung. Mit der Zeit ler­nen die Men­schen die Eigen­heit­en und Eigen­schaften ein­er bes­timmten Tech­nolo­gie ken­nen, und dadurch fährt sozusagen das Immun­sys­tem hoch. Wenn du ein Face­book-Native bist, wirst du wis­sen, dass Leute dumme Dinge reposten, und dass du diese auf Fak­ten über­prüfen musst. Als Benutzerin oder Benutzer wird man immer anspruchsvoller.

VITA

Prof. Dr. Michal Kosin­s­ki ist ein aus Polen stam­mender Psy­chologe und Daten­wis­senschafter, zu dessen Fachge­bi­eten Psy­chome­trie und Data Min­ing zählen. In sein­er Forschung unter­sucht er das men­schliche Ver­hal­ten mit Hil­fe des dig­i­tal­en Fußab­drucks, den die Men­schen während der Nutzung dig­i­taler Plat­tfor­men zurücklassen.

Zurzeit ist er als außeror­dentlich­er Pro­fes­sor an der Stan­ford Grad­u­ate School of Busi­ness tätig. Neben seinem Dok­tor­ti­tel in Psy­cholo­gie ver­fügt Michal Kosin­s­ki auch über den Mas­ter in Psy­chome­trie und Sci­ence. Er studierte an der Uni­ver­si­ty of Cam­bridge, wo er 2008 mit seinen Mitar­bei­t­erin­nen und Mitar­beit­ern ein Sys­tem entwick­elte, um mith­il­fe von Online-Dat­en, Face­book Likes und Smart­phone-Dat­en detail­lierte Pro­file von Men­schen zu erstellen. Zuvor war Michal Kosin­s­ki stel­lvertre­tender Direk­tor des Psy­cho­met­rics Cen­ter der
Uni­ver­sität Cam­bridge, Forsch­er bei Microsoft Research und Post­doc an der Stan­ford-Fakultät für Infor­matik. Mit seinen inno­v­a­tiv­en Denkan­sätzen und zahlre­ichen Pro­jek­ten spielt Kosin­s­ki eine wichtige Rolle in der Online­forschung und Verhaltensanalyse.

Michal Kosinksi veröf­fentlichte zahlre­iche Pub­lika­tio­nen und erhielt Ausze­ich­nun­gen wie den „Ris­ing Star“ oder den „Open Inno­va­tion Award“. 2013 wurde er als ein­er der „Top 50 ein­flussre­ich­sten Men­schen in Big Data“ ausgezeichnet.