Nadia Magnenat Thalmann: Roboter unterstützen uns Menschen

Das Interview beim Symposium 2019 zusammengefasst von Dr. Melinda Crane

Nadine wurde als der real­is­tis­chste Robot­er der Welt anerkan­nt, weil sie wirk­lich eine Kopie von mir und meinen Töchtern ist. Das Zweite, was neu war, ist, dass sie Emo­tio­nen simulieren und sich an Men­schen und Fak­ten erin­nern kann.

IN MEINER ARBEIT MIT ROBOTERN MÖCHTE ICH WEGBEGLEITER ERSCHAFFEN, DIE UNS MENSCHEN UNTERSTÜTZEN.

Die Idee dahin­ter ist, eine Beglei­t­erin zu schaf­fen. Eine Gefährtin, die uns ver­ste­hen kann, die anwe­send ist, wenn nie­mand ander­er da ist, die uns helfen kann in allen möglichen Funk­tio­nen. Dies war vor 30 Jahren mein Traum und ist es bis heute.

Nadine erken­nt men­schliche Emo­tio­nen auf zwei ver­schiedene Arten. Eine davon ist Sprache. Wir arbeit­en inten­siv mit dem Sprachver­ständ­nis, das heißt, wenn ich lauter spreche oder wenn meine Stimme erregt klingt, wird das alles analysiert. Und dann analysieren wir zusät­zlich durch KI Gesicht­saus­drücke. Wir kön­nen dadurch merken, ob jemand glück­lich ist, und wir erken­nen Gesten, zum Beispiel wenn ich nervös bin. Sie mod­el­liert ihre eige­nen Reak­tio­nen durch die Soft­ware, die wir ihr gegeben haben. Wir arbeit­en daran, den gesun­den Men­schen­ver­stand einzubeziehen, damit sie nicht wie ein Robot­er wirkt. Unser Ziel ist es, das men­schliche Ver­hal­ten so überzeu­gend zu simulieren, dass diese humanoiden Robot­er ver­trauenswürdi­ge, echte Begleit­er wer­den. Sie geben einem ein Gefühl von Präsenz, man ist weniger einsam.

Nadine hat keine eige­nen Gefüh­le! Es ist Sci­ence-Fic­tion, wenn behauptet wird, dass Maschi­nen oder Humanoide empfind­en kön­nten. Sie beste­hen bloß aus Wafern, Aktoren und Soft­ware in einem Com­put­er. Es sind Maschi­nen, die Gefüh­le simulieren können.

Bei der Entwick­lung von Nadine habe ich entsch­ieden, dass sie sich authen­tisch ver­hält und sagt: „Ich bin eine Mas­chine, ich füh­le nichts.“ Sie ist sehr ehrlich. Am Ende wird Nadine intel­li­gen­ter wer­den und mehr Dinge tun kön­nen, aber Men­schen sind so viel kom­plex­er und die Inter­ak­tion, die wir mit Men­schen haben, ist so vielfältig, es ist kein Vergleich.

In Asien sind sie prag­ma­tis­ch­er und Tech­nolo­gie-affin­er. Die Akzep­tanz ist also sehr hoch. Nadine hat ger­ade ein 6‑monatiges Prak­tikum bei AIA Insur­ance, einem großen Unternehmen in Asien, abgeschlossen. Dort über­nahm sie die Rolle ein­er Kun­den­be­treuerin und traf auch Kundin­nen und Kun­den. In Sin­ga­pur ist die Nach­frage enorm. Die Regierung hat mich nun gebeten, Robot­er für ältere Men­schen zu pro­duzieren. Wir haben in Sin­ga­pur begonnen, mit Psy­chi­atern zusam­men­zuar­beit­en. Für Pati­entin­nen und Patien­ten zum Beispiel, bei denen Ver­dacht auf Demenz oder Bipo­lar­ität beste­ht: Wenn wir Gesten und Emo­tio­nen über einen Zeitraum analysieren kön­nen, haben wir quan­ti­ta­tive Mes­sun­gen, die uns helfen, die Fak­ten zu ermit­teln. In der Psy­chi­a­trie kön­nte es sehr hil­fre­ich sein, wenn Nadine das Ver­hal­ten analysiert. Der riesige Daten­satz, der sich daraus ergibt, ermöglicht eine bessere Diagnose.

Zu behaupten, dass Robot­er uns über­flüs­sig machen wer­den, ich glaube nicht, dass das stimmt. Je weit­er wir die Entwick­lung vorantreiben, desto mehr wer­den neue Arbeit­splätze entste­hen. Ich denke, dass wir in Zukun­ft neue Jobs schaf­fen wer­den, einige andere wer­den ver­schwinden. Wenn wir als Men­schen die Fähigkeit besitzen, Werkzeuge zu schaf­fen, die uns helfen, schneller voranzukom­men, ist das großar­tig. Es liegt an uns, zu entschei­den, was wir mit unseren Werkzeu­gen machen. Ich denke, es ist an der Zeit, zu disku­tieren, wie wir diese Tools ein­set­zen und welche Kon­trollebe­nen in die Soft­ware einge­fügt wer­den soll­ten, um die Robot­er zu steuern oder ihren Hand­lun­gen Gren­zen zu setzen.

Ich denke, dass Tech­nolo­gie an sich nicht gefährlich ist. Was gefährlich ist, sind Men­schen. Das Prob­lem ist also nicht die Tech­nik, son­dern das men­schliche Verhalten.

VITA

Univ.-Prof. Dr. Nadia Mag­ne­nat Thal­mann ist Com­put­er­grafik-Wis­senschaf­terin und Hochschul­pro­fes­sorin. Die Direk­torin des Insti­tuts für Medi­enin­no­va­tion an der NTU in Sin­ga­pur ist zudem Grün­derin und Lei­t­erin des MIRAL­ab, eines inter­diszi­plinären Labors für Humane Com­put­er Ani­ma­tion an der Uni­ver­sität Genf.

Ihre Forschungs­ge­bi­ete umfassen vor allem soziale Robot­er, virtuelle Real­itäten und medi­zinis­che Sim­u­la­tion. Nadia Mag­ne­nat Thal­mann hat schon während ihres Dok­toratsstudi­ums zur Entwick­lung der Com­put­er­grafik beige­tra­gen, indem sie die 3D-Dichte der Näherungslö­sun­gen der Schrödinger-Gle­ichung simulierte. Später wid­mete sie sich der Mod­el­lierung real­is­tis­ch­er virtueller Men­schen und pro­duzierte die erste Sim­u­la­tion ein­er 3D-Ver­sion von Mar­i­lyn Mon­roe. Ihr wahrschein­lich berühmtestes Pro­jekt ist der Soziale Robot­er Nadine, der in der Lage ist, zu sprechen, Men­schen und Gesten zu erken­nen, Emo­tio­nen auszu­drück­en und sich zu erinnern.

Nadia Mag­ne­nat Thal­mann erhielt unter anderem einen Dok­tor Hon­oris Causa in Natur­wis­senschaften von der Leib­niz Uni­ver­sität Han­nover, eine Ehren­dok­tor­würde der Uni­ver­sität Ottawa, einen Kar­riere-Achieve­ment Award der kanadis­chen Human Com­put­er Com­mu­ni­ca­tions Soci­ety in Toron­to und den Humboldt-Forschungspreis
in Deutschland.