Das ganz normale Böse und warum wir trotzdem gute Menschen sein können

Mit dem anerkan­nten Psy­chi­ater, Psy­chother­a­peuten, Neu­rolo­gen, Gericht­spsy­chi­ater und erfol­gre­ichen Buchau­tor Prim. Univ.-Prof. Dr. Rein­hard Haller kon­nte ACADEMIA SUPERIOR für die erste Dialogver­anstal­tung des heuri­gen Jahres ein­mal mehr einen äußerst renom­mierten und bekan­nten Diskus­sion­spart­ner gewin­nen, der am Abend des 13. Mai 2013 mit seinen Erzäh­lun­gen und Ein­sicht­en über 420 Per­so­n­en in den Bann zog.

„ACADEMIA SUPERIOR begeg­net den großen Fra­gen auf ein­er sach­lichen Ebene und gewährt Ein­blick in das Innere der Gesellschaft und Phänomene, die derzeit unsere Gesellschaft aus­machen”, betonte Obmann Dr. Michael Strugl ein­gangs. Die Diskus­sion des Abends über die Tiefen und Schat­ten­seit­en der men­schlichen Psy­che fand zwis­chen den bei­den „Fal­l­en­stellern” — Markus Hengstschläger, Autor der „Durch­schnitts­falle” und Rein­hard Haller, Autor der „Narziss­mus­falle” statt.

Rein­hard Haller sieht sich selb­st als „Geschicht­en­erzäh­ler”, von Geschicht­en näm­lich, die das Prob­lem aber auch die Lösung beinhalten.
Was ist „das Böse”? Obwohl jede und jed­er ein Ver­ständ­nis davon hat, was mit dem „Bösen” gemeint ist, ist eine Def­i­n­i­tion fast unmöglich. Das wiederum macht auch die Fasz­i­na­tion des Bösen aus: die Ver­mu­tung, dass es Teil von uns allen ist und den­noch schw­er fass­bar: „Wir wis­sen alle, dass in uns etwas Bös­es ist, deshalb ist es so faszinierend”. So beschreibt Haller die Vertreterin­nen und Vertreter zweier kon­trär­er Ansätze in der Wis­senschaft: die einen glauben, der Men­sch komme als bös­es Wesen auf die Welt und müsse erst durch Erziehung zu einem guten und sozialverträglichen Men­schen gemacht wer­den; die anderen, dass Kinder grund­sät­zlich unschuldig sind und erst durch die Umge­bung böse werden.

Die Bedingungen des Bösen

Das Entschei­dende dabei ist laut Haller nicht, ob jemand böse ist oder nicht, son­dern unter welchen Bedin­gun­gen das Böse zum Vorschein kommt: „Es stellt sich nicht die Frage, ist jemand gefährlich oder ist er nicht gefährlich, son­dern unter welchen Umstän­den ist er gefährlich”. Neben einem kul­turüber­greifend­en „Moralin­stinkt” des Men­schen und Strafge­set­zbüch­ern, die das Böse ahn­den, ver­weist Haller mit kri­tis­chem Blick auf die Geschichte und Gepflo­gen­heit­en in ver­schiede­nen Kul­turen und deren sozialen Ver­brechens­be­griff: „Die Wer­tung, ob etwas böse ist oder nicht, hängt auch vom jew­eili­gen Zeit­geist ab.” The­ol­o­gisch und philosophisch wird oft ver­mutet, dass das Böse der Preis der Frei­heit sei. Von Erich Fromm stammt ein, laut Haller noch tre­f­fend­eres Zitat: „Der Men­sch ist das einzige Tier, das seine Aggres­sion irra­tional ein­set­zt” (Erich Fromm).

„Was kränkt macht krank — und krim­inell.” – Beiratsmit­glied Pri­mar Univ.-Prof. Dr. Rein­hard Haller

An die 400 Mörder und Serienkiller hat der Vorarl­berg­er Psy­chi­ater bish­er getrof­fen, analysiert und begutachtet. Ob es ein gemein­sames Merk­mal, ein Indiz gebe, will Markus Hengstschläger wis­sen: „Serienkiller sind meist schön, hochin­tel­li­gent, haben Charme, sind im höch­sten Maße manip­u­la­tiv,” weiß Haller, doch ihnen allen ist gemein­sam, dass sie sich gottgle­ich als Herr über Leben und Tod stellen. Beson­ders schlimm sind Ver­brechen bei ein­er ein­seit­i­gen Machtverteilung und wenn keine Emo­tio­nen mehr da sind. So sind Empathie und Sym­pa­thie der beste Schutz­fak­tor gegen das Böse, denn: „Wenn wir uns nicht in den anderen ein­fühlen kön­nen, wird es gefährlich”.
Was sich in vie­len Fällen durchzieht, ist eine tiefe Gekränk­theit der Täter. So erweit­ert Haller den bekan­nten Spruch „was kränkt macht krank” um den Zusatz: „und kriminell”.

Was den Psy­chi­ater beson­ders beden­klich stimmt, sind zwei häu­fig gewor­dene Gewalt­phänomene der jün­geren Zeit: School shoot­ings und Fam­i­lien­tragö­di­en. Bei den Tätern der weltweit bish­er ins­ge­samt 103 Fälle von School shoot­ings han­delt es sich durch­wegs um junge Män­ner aus gutem Haus, intel­li­gent und aufgeschlossen. Ein gemein­sames Merk­mal: eine tiefe Kränkung. So ortet der Psy­chi­ater in den Tat­en das Motiv „ein­mal wichtig sein zu wollen, ernst genom­men zu wer­den, Tri­umph durch Stärke zu beweisen”. Tiefe Kränkung sieht Haller auch als Grund bei den meis­ten Fam­i­lien­tragö­di­en, in denen, meist der Vater, ein let­ztes Mal Stärke beweisen will. In Öster­re­ich gibt es jährlich 100–150 Tötungs­de­lik­te, zwei Drit­tel davon sind Beziehungs­de­lik­te. „Wir lesen ‚Fam­i­lien­tragöde” und sind beruhigt. Tat­säch­lich müssen wir beun­ruhigt sein. Denn: kein­er weiß, wie wir dem vor­beu­gen kön­nen”. In Anlehnung an die verpflich­t­en­den Hochzeitsvor­bere­itungskurse schlägt Haller etwa Schei­dungsvor­bere­itungskurse vor, in denen gel­ernt wird, mit Kränkun­gen umzugehen.

Der Umgang mit der psychischen Lebensurkraft Aggressivität

„Ein Fußball­spiel hat alle Ele­mente eines Krieges, alle Ele­mente ein­er Aggres­sion” beschreibt Haller plaka­tiv im Hin­blick auf die bevorste­hende WM: „Es geht um sehr viel Geld, es geht die Pro­pa­gan­da los, es marschieren die Heere auf, uni­formiert mit Fan-Leibchen, es gibt Schlacht­gesänge, es kom­men die Feld­her­ren — das sind die Train­er, es kom­men die Glad­i­a­toren — das sind die Kämpfer, es wird dann eine kriegerische Tak­tik aufge­fahren. Danach hängt Wohl und Weh des Volkes davon ab, wie das Spiel war, die Helden wer­den mit allen Staat­sor­den bedacht.” Haller beschreibt dies als pos­i­tive Umwand­lung der Aggres­sion von kriegerisch­er Tätigkeit hin zum Sport. Denn der Psy­chologe weiß, der beste Umgang mit Aggres­sion ist eine pos­i­tive Umwand­lung — in Kreativ­ität, Leis­tung, Sport, Kul­tur — und warnt zugle­ich: „Wir haben weniger Ven­tile, um Aggres­sion her­aus zu lassen in unser­er regle­men­tierten Welt”.

Was tun gegen das Böse?

Wis­senschaftlich gibt es drei ein­fache Ver­hal­tensweisen, die bere­its bei Kindern als Indika­toren für spätere Delik­te gel­ten: Schulschwänzen, Tierquälen und Feuer leg­en. Als entschei­dende Fak­toren, um bösem Ver­hal­ten ent­ge­gen­zuwirken nen­nt Haller in der Erziehung den richti­gen Umgang mit den drei „Z”: Zuwen­dung, Zärtlichkeit, Zeit.

„Es sind ganz ein­fache Dinge, die meines Eracht­ens das Böse hin­ten anhal­ten kön­nen. Neben dem ‚Acht­sam sein” ist eines der wichtig­sten Dinge der Umgang mit Lob”, plädiert Haller, denn: „Das echte Lob ist extrem sel­ten”. Der Men­sch braucht das Lob in einem hohen Maße und das ist Schutz gegen viel Bös­es, Schutz gegen Sucht und Schutz vor über­steigertem Narzissmus.

Die Narzissmusfalle

Hallers neuestes Buch beschäftigt sich mit einem Phänomen unser­er Zeit, dem anwach­senden Narziss­mus. Für ein gesun­des Ich-Bewusst­sein, Selb­stver­trauen und Durch­set­zungsver­mö­gen braucht der Men­sch freilich ein gewiss­es Maß an Narziss­mus. Aber „Narziss­mus ist ein Prinzip gewor­den, ein Ide­al”, warnt Haller. Sich selb­st darzustellen wird gesellschaftlich gefördert, gefordert und unter­stützt durch die Medi­en. Tat­säch­lich ist es auch kaum ver­wun­der­lich, dass laut ein­er Studie der Uni­ver­sität St. Gallen Per­sön­lichkeit­spro­file von Serien­mördern und Bro­kern an der Börse großteils übereinstimmen.

Narzis­sten sind selb­stver­liebt, unheim­lich empfind­lich — „Meis­ter im Austeilen aber Mimose im Ein­steck­en”, kön­nen sich nicht in andere hine­in­fühlen und machen sich auf Kosten ander­er wichtig. Doch wer den Mythos des Narziss und die Geschichte des Ikarus ken­nt weiß, er endet in Vere­in­samung, in gren­zen­los­er Selb­stüber­schätzung und let­ztlich im Fall. Haller zitiert hier ein argen­tinis­ches Sprich­wort: „Wie bege­ht ein Narzisst Selb­st­mord? Er klet­tert auf sein Ego und springt hinunter”

So lautet das abschließende Appell des Psy­chi­aters: „Es ist Zeit, Stopp zu machen um wieder etwas Beschei­den­heit, soziale Wärme und Sol­i­dar­ität einkehren zu lassen.”

Über 420 Per­so­n­en sind der Ein­ladung von ACADEMIA SUPERIOR in den Süd­flügel des Linz­er Schloss­es gefol­gt. Unter­stützt wurde die Ver­anstal­tung von der Sparkasse Oberöster­re­ich, vertreten durch Gen­eraldirek­tor Dr. Markus Lim­berg­er. Obmann Dr. Michael Strugl kon­nte neben den promi­nen­ten Diskus­sion­spart­nern Univ.-Prof. Dr. Rein­hard Haller und Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger auch eine Rei­he weit­er­er Per­sön­lichkeit­en begrüßen: Lan­despolizei­di­rek­tor-Stv. HR Mag. Erwin Fuchs, Dekan Univ.-Prof. Dr. Erich Peter Kle­ment (Johannes Kepler Uni­ver­sität) Uni­ver­sitäts­di­rek­torin Mag. Brigitte Mössen­böck (Anton Bruck­n­er Pri­vatu­ni­ver­sität) mit ihrem Gat­ten Univ.-Prof. Dr. Hanspeter Mössen­böck und Dr. Clau­dia Schwarz (Geschäfts­führerin ACADEMIA SUPERIOR).