Welche Fra­gen stellen sich Expert:innen über das Gesund­heitssys­tem und darüber, wie Pub­lic Health vor­angetrieben wer­den kann? In ein­er Fokus­gruppe disku­tierten fünf Per­so­n­en mit unter­schiedlichem fach­lichem Hin­ter­grund aus dem Gesund­heits­bere­ich über Fra­gen an die Zukunft.

Finanzierung und Reformbedarf

Eine der wichtig­sten Fra­gen an die Zukun­ft des Gesund­heits­bere­ichs bet­rifft die Finanzierung. Durch die demografis­chen Entwick­lun­gen wird der medi­zinis­che Behand­lungs­be­darf in den kom­menden Jahren stark steigen. Gle­ichzeit­ig bringt es der erfreuliche medi­zinis­che Fortschritt mit sich, dass immer neue und gegen mehr Krankheit­en wirk­same Medika­mente auf den Markt kom­men bzw. neue Tech­nolo­gien (z.B. Robotik) den Gesund­heitssek­tor rev­o­lu­tion­ieren. Die Kosten im Gesund­heitssys­tem wer­den also noch weit­er steigen.

Derzeit wer­den bere­its ca. 11% des BIP in Öster­re­ich für Gesund­heit aus­gegeben. Für die Zukun­ft scheinen drei Optio­nen denkbar: 1. Dieser Anteil wächst; 2. Durch mehr Effizienz kön­nen Kosten ges­part wer­den; oder 3. Die Sum­men bleiben etwa gle­ich und wer­den im Sys­tem anders verteilt.

Der Tech­nol­o­gis­che Fortschritt bringt aber nicht nur Kosten, son­dern auch Effizienz-Poten­ziale mit sich: im Gesund­heits­bere­ich sind derzeit enorme Men­gen an Rou­tine-Dat­en vorhan­den, die nicht aus­gew­ertet wer­den. Eine Auswer­tung dieser Dat­en kön­nte helfen, Möglichkeit­en für Opti­mierun­gen im Sys­tem zu find­en – z.B. kön­nte durch ein Rean­i­ma­tion­sreg­is­ter die Not­fal­lver­sorgung verbessert wer­den oder Date­n­analy­sen in Kranken­häusern kön­nen z.B. für Mod­elle zur flächen­deck­enden Delir-Vorher­sage genützt wer­den, was die Pla­nungsef­fizienz erhöht.

Es braucht jedoch nicht nur finanzielle Erwä­gun­gen, son­dern auch Verän­derun­gen an den Struk­turen. Es bräuchte z.B. mehr Anerken­nung für bes­timmte Mitarbeiter:innengruppen im Gesund­heits­bere­ich, indem man ihnen auch mehr Ver­ant­wor­tung übergibt, wenn sie die entsprechen­den Kom­pe­ten­zen haben. Dies würde gegen den Fachkräfte­man­gel wirken und gle­ichzeit­ig die Effizienz im Sys­tem erhöhen.

Mehr Gesunde Lebensjahre als Ziel

Österreicher:innen haben derzeit eine durch­schnit­tliche Lebenser­wartung von 82 Jahren, jedoch ver­brin­gen sie nur 66 davon in Gesund­heit, trotz der im inter­na­tionalen Ver­gle­ich hohen Aus­gaben im Gesund­heitssek­tor. Die skan­di­navis­chen Län­der z.B. geben weniger für Gesund­heit aus, trotz­dem hat die dor­tige Bevölkerung mehr gesunde Leben­s­jahre vor sich.

Ein­er der Gründe: die Gesund­heit­skom­pe­ten­zen in der Bevölkerung sind dort höher, was gesund­heits­fördern­des Ver­hal­ten mit sich bringt.

Im Rah­men ein­er Bil­dungsre­form wäre es sin­nvoll, auch dem Wis­sen um die eigene Gesund­heit und um das Gesund­heitssys­tem einen höheren Stel­len­wert einzuräu­men. So kön­nte ein wichtiger Teil des Prob­lems bere­its an der Wurzel ange­gan­gen werden.

Generell sollte dadurch eine Wende hin zur Präven­tion geset­zt wer­den. In Öster­re­ich wer­den derzeit ca. 97% der Mit­tel im Gesund­heitssek­tor für „Reparaturmedi­zin“ und nur 3% für Präven­tion aus­gegeben. Auch dies ist ein im inter­na­tionalem Ver­gle­ich sehr niedriger Wert.

Wünsche an die Zukunft

Danach gefragt, welche Verän­derun­gen in den näch­sten 10 Jahren wün­schenswert wären, wur­den fol­gende Ideen geäußert:

  • Ein Umdenken bei der Verkehrs­pla­nung, sodass generell weniger Autos nötig sind und weniger Lärm auftritt.
  • Eine für alle gle­iche Gesund­heitsver­sorgung, und keine Ver­sorgung, die sich nach den indi­vidu­ellen finanziellen Mit­teln orientiert.
  • Eine Akademisierung der Rettungsdienstausbildung
  • Schaf­fung eines Min­is­teri­ums für/gegen Ein­samkeit bzw. Maß­nah­men gegen Einsamkeit
  • Eine Reform des Bil­dungssys­tems, die die Ver­mit­tlung von Gesund­heit­skom­pe­ten­zen als Teil der schulis­chen Bil­dung zu verankert

Die aufgeworfenen Fragestellungen

  • Wie soll Pflege in Zukun­ft organ­isiert und finanziert werden?
  • Welche Hil­f­s­mit­tel brauchen wir noch zur Pflege? KI-basiert? Robotic?
  • Wie kön­nen an nach­fol­gende Gen­er­a­tio­nen wieder Werte/Gemeinschaftssinn ver­mit­telt werden?
  • Wie kann das Gesund­heitssys­tem stärk­er aus der Sicht der Patient:innen neu gedacht werden?
  • Wie kann ein auf allen Ebe­nen „gerecht­es“ Gesund­heitssys­tem aussehen?
  • Wer soll in Refor­mentschei­dun­gen im Gesund­heitssys­tem einge­bun­den werden?
  • Warum wird die Bil­dungsre­form nicht in Angriff genommen?
  • Wie schafft man eine Reform des gesamten Gesundheitswesens?
  • Wie soll das Berufs­bild „San­itäter“ in Zukun­ft aussehen?
  • Wie wer­den wir in Zukun­ft den enor­men medi­zinis­chen Fortschritt und die medi­zinis­chen Fol­gen der Demogra­phie finanzieren können?
  • Wie kön­nen attrak­tive Arbeits­be­din­gun­gen (nicht finanziell gemeint) für Gesund­heits­berufe ermöglicht werden?
  • Wie kann die Gesund­heit­skom­pe­tenz erhöht werden?
    Wie kön­nen die Jahre der gesun­den Lebenser­wartung ver­mehrt werden?
  • Wie gelingt eine gemein­same Demografies­trate­gie im Gesund­heits- und Pflegewesen?
  • Wie gelingt es, Werte und Würde neu zu etablieren?
  • Wie verbessern wir die Sta­tis­tik-Aus­bil­dung oder das Ver­ständ­nis für Sta­tis­tik bei Mediziner:innen?
  • Der Men­sch isst zu viel Fleisch! Welche Maß­nah­men kön­nen gegensteuern?
  • Wie schaf­fen wir weniger Reparaturmedi­zin und mehr Präven­tion in Österreich?