Tiere. Der Mensch und seine Natur.

Natur

Die Natur ist das nicht durch uns Gewor­dene und Gemachte. Und genau diesen Teil der Natur drängten wir zurück — beina­he gibt es ihn nicht mehr. In dieser Natur gibt es — neben den Men­schen — Tiere und Dinge. Mit diesen nicht­men­schlichen Wesen ste­hen wir in einem ständi­gen Ver­hält­nis, agieren und inter­agieren mit ihnen. Geben wir ihnen einen Namen existieren sie für uns. Wir leben in moralis­chen Gemein­schaften, in Gemein­schaften mit gle­ichen Eigenschaften.

Das Tier

Was ist nun dieses Tier? Es existieren viele aber auch wider­sprüch­liche Attribute für Tiere.

Tiere wer­den als Spiegel, Gegen­bild, Sehn­sucht, Bestie, Ver­lock­ung, Gefahr und als Natur von uns wahrgenom­men. Tiere ste­hen für Mut, Schnel­ligkeit, lan­gen Atem, sie sind Pres­ti­geob­jek­te, Nutztiere, wirtschaftliche Ressource und Fre­unde, sie dienen zur Zierde oder man hält sie aus ästhetis­chen Grün­den. Das Tier gilt als Bedeu­tungsträger: der Esel z.B. ste­ht für Dummheit, Ein­falt, Hochmut, Sturheit, das Her­melin ist Sym­bol für Rein­heit. Tiere stellen eine uni­verselle Präsenz dar: sie wer­den sakral­isiert, dämon­isiert, abge­bildet, geopfert. Tiere wer­den benutzt um gesellschaftliche Phänomene vorzuführen und gel­ten als Öffn­er für men­schlich­es Unbewusstsein.

Welche Inter­essen haben Tiere? Treten WIR für diese ein? Was ist mit der Per­spek­tive der Tiere? Sie haben eine eigene Sicht der Welt; es gibt keinen Grund, sie weniger ernst zu nehmen als den Men­schen. Ab wann und warum wur­den nun Tiere gegen den Men­schen gestellt?

Der Mensch

Die Beze­ich­nung ‚Men­sch‘ wurde von einem Men­schen erfun­den. Der Begriff wird von Carl von Lin­né geprägt, auf welchen auch die Tier­na­men zurück­ge­hen. Bevor er dem Men­schen den Namen ‚Homo sapi­ens‘ (lat. ‚der weise Men­sch‘) gab, nan­nte er ihn ‚Nosce te ipsum‘ (,kenne dich selb­st‘). Die philosophis­che Anthro­polo­gie stellt sich die Frage, „Was der Men­sch ist”. Dieser Frage wurde im Rah­men des Philo­soph­icums nachgegangen.

Wer­den wir erst zum Men­schen, wenn wir erzählen woher wir kom­men? Brauchen wir den Begriff ‚Men­sch‘ als Kon­trast­be­griff, um uns von den Tieren zu lösen? Ist der Men­sch ein Tier unter Tieren? „Men­schen sind Tiere, wo die einen ihres­gle­ichen zücht­en” (P. Slo­ter­dijk). „Wir sind nicht das Tier, das Werkzeuge her­stellt son­dern das Tier, das Sinn her­stellt.” „Einen ein­heitlichen Begriff von ‚Men­sch‘ haben wir nicht” (Max Schel­er), aber der Men­sch ist ein Lebe­we­sen dessen Zeichen wir ver­ste­hen. Auf Grund seines Logos (der Ver­nun­ft) lässt sich der Men­sch von anderen Lebe­we­sen unter­schei­den (Aris­tote­les, Kant, Schopen­hauer). Aber „wie kon­nte es soweit kom­men, gar nicht zu über­legen, ob Tiere Ver­nun­ft haben oder nicht?”

Tier und Mensch

„Der Unter­schied zwis­chen Tier und Men­sch ist eine Fik­tion.” Es gibt viele Schnittpunk­te zwis­chen Men­sch und Tier — Tiere sind uns sehr viel ähn­lich­er als wir denken. Es ist nicht zu vergessen, dass die Fähigkeit­en der Tiere die der Men­schen über­steigen: zum Beispiel erkan­nte Argos, der Hund des Odysseus, seinen Her­ren nach 20 Jahren wieder — im Gegen­satz zu den Men­schen, sie erkan­nten ihn nicht wieder. Ger­ade bei den Wirbeltieren ist eine unglaubliche kon­ver­gente soziale, organ­isatorische und kog­ni­tive Leis­tung festzustellen; sie sind dem Men­schen in der sozialen Grun­dor­gan­i­sa­tion sehr ähnlich.

Tiere haben selb­stver­ständlich ein Bewusst­sein, sie besitzen geistige Fähigkeit­en, sie sind in der Lage zu denken, sie haben Gefüh­le und Emo­tio­nen, sie empfind­en Angst, Lust, Panik, gehen Bindun­gen mit anderen Tieren ein, lei­den an Depres­sio­nen und kön­nen trauern. Eben­so sind Ähn­lichkeit­en in For­men der Tra­di­tio­nen und der Kom­mu­nika­tion erkennbar. Auch sind Empathie und Moral keine men­schlichen Alle­in­stel­lungsmerk­male. Tiere hegen und pfle­gen, zücht­en, gehen ihren Pflicht­en nach und manche gebrauchen sog­ar Werkzeug.

Und wie ste­ht es um die Würde der Tiere? Wann ist die Würde der Tiere ver­let­zt? Wann lei­den Tiere? Die „Lei­dens­fähigkeit ist eine Gemein­samkeit bei Men­sch und Tier”, „Tiere lei­den oft mehr als Men­schen”. Eine moralis­che Schutzwürdigkeit von Wesen kommt, auf­grund bes­timmter (men­schlich­er) Eigen­schaften, nur Men­schen zu. Warum aber sollen Arten auf Grund Ihrer Eige­narten weniger schützenswert sein? Men­schliche Eigen­schaften bleiben also Anker moralis­ch­er Schutzwürdigkeit und hin­sichtlich der Tiere begrün­det das Eigene (Men­schliche) im Frem­den (Tier­liche) moralis­che Rück­sicht. Je mehr kog­ni­tive Ähn­lichkeit (zum Men­schen), umso höher ist die moralis­che Rück­sicht. Und was ist das Maß höher­er kog­ni­tiv­er Fähigkeiten?

Wie wenig wir in die Dunkelka­m­mer des Bewusst­seins der Tiere ein­se­hen — was denkt wohl mein Hund über mich?

Die Macht des Menschen

Der Men­sch ste­ht den Tieren mächtig gegenüber: wir schränken ihren Leben­sraum ein und entziehen ihnen diesen, wir nutzen und „ver­nutzen” sie, wir zücht­en sie und sper­ren sie ein — fügen ihnen Leid zu, nehmen sie nicht ernst und bes­tim­men über sie. „Wie viel muss an men­schlichen Gefühlen amputiert wor­den sein” dass wir zu ein­er solchen Umgangsweise fähig sind? Sind wir so (mit Tieren) sozial­isiert wor­den? „(…) dass wir sie quälen, dass sie keine Gräs­er sehen — eine Bar­barei. Wir dür­fen nicht quälen, was Leid empfind­en kann!”

Der Speziesis­mus ist die moralis­che Diskri­m­inierung der Indi­vid­u­al­ität ein­er Spezies gegenüber ein­er anderen Spezies. Ein Speziesist ist ein Vertreter eines Ras­sis­mus der Arten. Und „der Ras­sis­mus ist mod­ern: nichts ist bei uns Men­schen kon­se­quenter als ein human­is­tis­ch­er Ras­sis­mus.” Der Men­sch „legt seine Hand auf alles, was ihm nicht gehört”, „er über­fährt was schwach, klein­er, langsamer erscheint mit Fortschritts­denken”, „er zer­stört vieles am Weg zu seinem Ziel, weil er so fix­iert darauf ist und entzieht sich dadurch andere Bere­iche sein­er Lebens­grund­lage” — „er gräbt sich seinen eige­nen Lehrp­fad ab”.

Es scheint, als gäbe es kein anderes Ziel als Kap­i­tal­max­imierung auf der Erde. Der Men­sch hat eine gewinnschröpfende Art und es konzen­tri­ert sich alles auf Fortschritt und Wach­s­tum: immer muss Neues auf den Markt, wir fis­chen die Meere leer, wir pro­duzieren enorme und steigende Massen an Fleisch, wir roden tausende und aber­tausende Quadratk­ilo­me­ter Wald, dehnen unsere Land­flächen in alle Rich­tun­gen aus, entwässern, ver­wüsten, bebauen diese und ver­an­lassen nicht nur EINEN „Holo­caust der Tiere” („4. Mio. Rinder wur­den wegen der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit getötet, dann kommt dazu die Tötung von Tieren auf­grund der Vogel­grippe, der Schweinepest etc. — alles Dinge, die eine Folge der Tier­hal­tung sind — und alles nur um den Men­schen zu schützen, scheint ihre Tötung zu recht­fer­ti­gen”). All das schadet der Natur und zer­stört sie.

„Wach­s­tum ist das Mantra, mit dem unsere Poli­tik ‚arbeit­et‘.” „Der Staat ist der Hauptver­ant­wortliche des Arten­ster­bens — auf­grund der Recht­slage.” Arten­schwund passiert auf­grund poli­tis­ch­er Entschei­dun­gen wie zum Beispiel der Entschei­dung für mehr Wirtschaftswach­s­tum — die „typ­is­chen Sys­tem­vari­able” also.

Wert definiert sich auf der Erde für uns nur, wenn er sich in Geld­form real­isieren lässt, wenn wir etwas schaf­fen oder besitzen. Dem­nach haben die Natur, die Kün­ste, die Vögel etc. keinen Wert. „Wie falsch unsere Ethik struk­turi­ert ist! Es ist darin nur der Men­sch schützenswert, deshalb brauchen wir eine Abtra­gung der Ethik.”

Darin beste­ht der ‚Nat­u­ral­is­tis­ch­er Fehlschluss‘: wir glauben, dass etwas gut ist, wenn es so ist.

Für die Zukunft

„Früher machte ich die Balkon­tür zu, damit keine Insek­ten ins Haus zum Lichte fliegen. Heute fliegen keine Insek­ten mehr ins Zim­mer. Es ist alles zube­toniert,” wurde beim Philo­soph­icum in Lech festgehalten.

Wir müssen den Inter­essen des Tieres begeg­nen! Aber kann dies nur von einem Tier kom­men, das aufge­hört hat, ein Tier zu sein? Wir kön­nen es auf jeden Fall wesentlich bess­er machen:

Wir müssen die Tiere respek­tieren, sie art­gerecht hal­ten, ihnen Leben­sraum (zurück)geben, Fleisch muss aus ein­er völ­lig anderen Pro­duk­tion, aus ein­er bewussteren Pro­duk­tion kom­men, wir müssen ergänzen, was wir nehmen. Wir müssen uns immer wieder vergewis­sern, welche Ansprüche Tiere in ihrer Eige­nart an uns stellen, „wir brauchen Indi­viduen, die Denken und Fühlen vere­inen”. „Eine Änderung der Sit­u­a­tion der Tiere kann nur durch die gesamte Gesellschaft passieren. Wir müssen alle diesen Schritt gemein­sam machen, denn „solange es Schlachthöfe gibt, wird es Schlacht­felder geben”. „Es wird aber immer bess­er: die junge Gen­er­a­tion ist tierfreundlicher.”

Tiere, der Men­sch und seine Natur sind ein wahres Zukun­ft­s­the­ma — brisan­ter als je zuvor. Das Philo­soph­icum Lech ließ uns aber­mals bewusst wer­den, dass „es sehr wichtig ist, Kinder fühlen zu lassen welch unglaubliche Kost­barkeit ein Lebe­we­sen darstellt.”

Zitate

„Die Tiere ken­nen ihre Zeit.” (Eugen Drew­er­mann) „Wie gehen wir mit Zeit um?” (Kon­rad Paul Liessmann)
„Leben lebt von Leben.” (Albert Schweitzer)
„Die schön­ste Melodie der Vögel hat keine Satzstruk­tur.” (Rein­hard Brandt)
„Wir haben heute die meis­ten Ethikkom­mis­sio­nen, die es je gab.” (Ursu­la Pia Jauch)
„Welche Rolle spielt der Men­sch in der Tierethik?” (Her­wig Grimm)
„Kein Tier strebt so nach dem Sinn des Lebens wie der Men­sch.” (Kurt Kotrschal)
„Men­schen sind ohne Tiere nicht denkbar.” (Unbekan­nt)
„Die Natur ver­ste­ht unsere Fra­gen nicht.” (Eugen Drewermann)
„Auf dieser Erde leben die Tiere in der Hölle.” (Arthur Schopenhauer)
„Die Natur möchte nicht, dass wir in ständi­ger Angst leben.” (Eugen Drewermann)
„Der Wolf gilt als ständi­ger Begleit­er bei der men­schlichen Eroberung der Welt.” (Kurt Kotrschal)
„Die Bibel lässt im Wel­tenbaum nur dem Men­schen auftritt.” (Eugen Drewermann)
„Werte kann man nur fühlen.” (Eugen Drewermann)
„Tiere brauchen keine Para­graphen.” (Eugen Drewermann)
„Alle Tiere ken­nen ihre Zeit.” (Indígenas)
„Warum soll das Denken der Men­schen nicht äquiv­a­lent mit dem Denken der Tiere sein?” (Rein­hard Brandt)
„Evo­lu­tion ist ziel­los. Es geht nicht darum, sich immer höher zu entwick­eln, son­dern es geht um Zufall und Vererbung.” (Andrea Grill)
„Die schlafen, um zu träu­men, sind Banau­sen. Die träu­men, um aufzuwachen, sind Kün­stler.” (Eugen Drewermann)
„Wir dür­fen nicht quälen, was Leid empfind­en kann.” (Eugen Drewermann)
„Märchen erzählen: zur Entschle­u­ni­gung.” (Michael Köhlmeier)