Dr. Carl Djeras­si war als Experte zu unserem diesjähren SURPRISE FACTORS SYMPOSIUM geladen. Er sprach über ver­schiedene Wege, die Bevölkerungs­größe in einem Land zu halten.

Pädiatrische und geriatrische Länder

Carl Djeras­si teilt die Erde in geri­atrische Län­der (z.B. Japan, Ital­ien, Deutsch­land) und in pädi­a­trische Län­der (meist Län­der in Afri­ka, Lateinameri­ka und Asien). In geri­atrischen Län­dern ist der Anteil der älteren Bevölkerung höher als der Teil der jün­geren Bevölkerung; in pädi­a­trischen Län­dern ver­hält es sich genau umgekehrt. Der Wen­depunkt, also der Punkt ab dem ein Land zu einem geri­atrischen Land zählt, beze­ich­net man als Demographis­chen Über­gang. Solche Entwick­lun­gen passieren über Gen­er­a­tio­nen hin­weg und kön­nen nicht in eini­gen weni­gen Jahren ein­fach ein- und aus­geschal­tet wer­den. „Eine Bevölkerung­sex­plo­sion kann zum Beispiel nicht ein­fach gestoppt wer­den”, so der Chemiker.

Herausforderung über Nacht begegnen

Wir haben immer mehr und mehr ältere Men­schen, weil sie gesün­der sind und fol­glich länger leben. Das hat erhe­bliche wirtschaftliche Kon­se­quen­zen, speziell in Bezug auf das Gesund­heitssys­tem. „Die medi­zinis­che Für­sorge ist für den Durch­schnitt in Öster­re­ich nach wie vor akzept­abel, kann aber in dieser Art und Weise nicht fort­ge­set­zt wer­den”, bemerkt Djeras­si und wun­dert sich: Im Hin­blick auf die Medi­zin war Öster­re­ich, zur Zeit des Jugend­stils, eines der wichtig­sten Län­der weltweit. Die Uni­ver­sität Wien war die Schule der Medi­zin, oder gewiss eine der besten. Das Wiener All­ge­meine Kranken­haus war zu dieser Zeit das größte Spi­tal weltweit. Heutzu­tage liegt der Fokus der medi­zinis­chen Für­sorge in Öster­re­ich jedoch auf der älteren Gen­er­a­tion und der kura­tiv­er Medi­zin. Sowohl in den geri­atrischen, als auch in den pädi­a­trischen Län­dern ist es unverzicht­bar, der präven­tiv­en Medi­zin mehr Beach­tung zu schenken. „Das Ver­hal­ten in diesem Land ist dies­bezüglich beschä­mend und die Debat­te über das Rauchen ist vielle­icht das beste Beispiel dafür. Da kann leicht etwas vol­l­zo­gen wer­den”, so Djerassi.

Wege für Österreich: Immigration und Geburtenrate erhöhen

Um das Bevölkerungswach­s­tum zu hal­ten und um sich zu repro­duzieren, bedarf es 2,1 Kinder pro Fam­i­lie. In Europa haben lediglich Fam­i­lien in Alban­ien, Mal­ta und in skan­di­navis­chen Län­dern über 2 Kinder. „Wenn sich Öster­re­ich nicht schnell entschei­det bege­ht es nationalen Selb­st­mord über einen Zeitraum der näch­sten 100 Jahre”, stellt Djeras­si pro­vokant in den Raum. Seine Ansätze um dieser Entwick­lung gegen­zus­teuern sind: die Geburten­rate erhöhen und Immi­gra­tion forcieren.

Immigration forcieren um die Bevölkerungsgröße zu halten

Ein möglich­er Weg die Bevölkerungs­größe in Öster­re­ich zu hal­ten, ist Immi­gra­tion, so Djeras­si. Noch bleibt die Bevölkerungszahl Öster­re­ichs sta­bil, weil Men­schen nach Öster­re­ich emi­gri­eren. Für Djeras­si stellt sich jedoch die Frage, wie die Men­schen in das Land kom­men und wer sie sind?

Erhöhung der Geburtenrate durch optimale Hard- und Software

Der zweite Weg Djeras­sis, die Bevölkerungszahlt in Öster­re­ich zu hal­ten, ist die Erhöhung der Geburten­rate. Und dazu bedarf es ein­er „opti­malen Hard- und Soft­ware”, sagt der Chemik­er. Als Hard­ware beze­ich­net Djeras­si sämtliche medi­zinis­che Meth­o­d­en der Geburtenkon­trolle (Ver­hü­tung; Abtrei­bung). Zur Soft­ware zählt er gesellschaftliche Rah­menbe­din­gun­gen wie die Poli­tik, die Wirtschaft, die Reli­gion und, für ihn am bedeut­sam­sten, die kul­turelle und wirtschaftliche Stel­lung der Frau. „Um die Prob­leme des Geburten­rück­gangs zu lösen, braucht man keine neue Hard­ware, die Ursache des Prob­lems liegt bei der Soft­ware und die Soft­ware Prob­leme in Europa und in Öster­re­ich sind enorm; in diesem Fall haben wir es mit einem Soft­ware Prob­lem der geri­atrischen Gesellschaft zu tun”, meint Djeras­si. In der geri­atrischen Welt war das Leit­mo­tiv der let­zten 50 Jahre Repro­duk­tion und Ver­hü­tung; heute ist das Leit­mo­tiv Empfäng­nis. Warum wir so schnell so kleine Fam­i­lien haben, ist ein Phänomen der let­zten 50 Jahre.

Länderbeispiele: Hard- und Softwareprobleme

Carl Djeras­si nen­nt im Laufe sein­er Aus­führun­gen einige Län­der, die sich auf­grund so genan­nter Hard- und Soft­wareprob­leme zu pädi­a­trischen oder geri­atrischen Gesellschaften entwickelten:
„Ein inter­es­santes Beispiel für eine niedrige bzw. sink­ende Geburten­rate ist die Sow­je­tu­nion”, so Djeras­si. Soft­ware Prob­leme (schreck­liche Wohn­ver­hält­nisse; sehr geringe Empfäng­nisver­hü­tung; Zahl der legalen Abtrei­bun­gen weit höher als Geburten­zahl; hohe Anzahl von Frauen im Arbeits­markt) waren die Ursachen für die heuti­gen demographis­chen Ver­hält­nisse. In Chi­na wurde das Exper­i­ment Geburtenkon­trolle in einem sehr großen, nicht wieder­hol­baren Rah­men prak­tiziert — die Ein Kind Poli­tik. Djeras­si bemerkt, dass der Wirkungs­grad dieser Poli­tik sehr drama­tisch war und ist; Chi­na bewegt sich nun in die Kat­e­gorie der geri­atrischen Län­der. In Indi­en scheit­erte eine bere­its angedachte, „sehr intel­li­gente” anti-natale Poli­tik. Die Bevölkerung ist explodiert und sie zählt heute zu den pädi­a­trischen Gesellschaften. „In pädi­a­trischen Län­dern, wie Nige­ria oder Pak­istan, wäre eine Geburtenkon­trolle uner­lässlich”, so Djeras­si. Die Bevölkerungszahl dieser Län­der wird explodieren, was immense Her­aus­forderun­gen für das jew­eilige Land mit sich bringt.

Ansätze in der Hardware

„Wir müssen unseren Fokus auf Frauen und Kinder richt­en”, fordert Djeras­si. Mehr und mehr Frauen arbeit­en heute, sie bewe­gen sich immer weit­er in höhere Posi­tio­nen, auch in män­ner­do­minierte Diszi­plinen. Das ver­schiebt die Repro­duk­tion nach hin­ten. „Wir nen­nen 40jährige Müt­ter, alte Müt­ter. Nie wür­den wir das bei einem Vater machen”, sagt Djeras­si und bemerkt, dass sich das Machtver­hält­nis zwis­chen Mann und Frau zu ändern begin­nt, und zwar für immer. Der inter­es­san­teste Teil für Djeras­si in diesem Bere­ich, welch­er mehr als alles andere bewegt hat, ist In-vit­ro-Fer­til­i­sa­tion. Etwa zwei bis vier Mil­lio­nen Per­so­n­en, die man durch kün­stliche Befruch­tung zeugte, wur­den weltweit geboren. „Heutzu­tage kann man Geschlechtsverkehr ohne repro­duk­tive Kon­se­quen­zen und Repro­duk­tion ohne Geschlechtsverkehr haben”, so der Chemik­er. In unge­spitzter Manier meint Djeras­si „Sex passiert im Bett und Repro­duk­tion unter dem Mikroskop.” Die Men­schen sind darüber schock­iert, sagt Djeras­si, speziell in kon­ser­v­a­tiv­en Län­dern wie Deutsch­land, Öster­re­ich und Ital­ien, wo man nach wie vor den Akt der Repro­duk­tion gerne roman­tisiert. „Aber das soll nur die indi­vidu­elle Frau und (hof­fentlich) auch ihren Part­ner etwas ange­hen, aber nicht die Regierung, die Kirchen, oder andere Per­so­n­en; sie kön­nen im End­ef­fekt nichts kon­trol­lieren”, so Carl Djerassi.

Hardware: Pille und In-Vitro Fertilisation

„In vor­wiegend katholis­chen Län­dern wie Öster­re­ich ist die pop­ulärste Meth­ode der Geburtenkon­trolle die Pille”, meint Djeras­si und bringt als alter­na­tiv­en Vorschlag das Ent­nehmen und Auf­be­wahren von jun­gen Eizellen, mit anschließen­der Ster­il­i­sa­tion der Frau. „Die Eier liegen in ver­schiede­nen Banken um den Erhalt sicherzustellen, sollte eine Pleite geht”, fügt er halb-scherzend hinzu. Hat die Frau später einen Kinder­wun­sch, kann sie ihre eige­nen jun­gen Eizellen für eine Schwanger­schaft ver­wen­den. Laut Djeras­si wird die Kon­se­quenz dieser Meth­ode, eine Zunahme an immer mehr und mehr älteren Müt­tern sein. „Die biol­o­gis­che Uhr wird de fac­to um min­destens fünf Jahre erhöht”, sagt der Chemik­er. Im Hin­blick auf die Entwick­lung der Ein­heit Fam­i­lie und der Kinder, durch kün­stliche Ein­griffe in die Abläufe der Repro­duk­tion, beruhigt Deras­si: Die Alter­na­tiv­en Meth­o­d­en der Befruch­tung wer­den das Konzept der nuk­learen Fam­i­lie (Frau, Mann, Kind) nicht zer­stören. Djeras­si geht davon aus, dass in Zukun­ft „Ein gewün­scht­es Kind der absolute Zement für eine Fam­i­lie sein wird.” „Wenn man nur noch Wun­schkinder hat, wird es keine Abtrei­bun­gen mehr geben. Außer­dem wer­den Kinder von les­bis­chen Paaren, alle­in­ste­hen­den Müt­tern etc. erzo­gen und ein Studie stellte fest, dass sich diese Umstände wed­er im Ver­hal­ten, im Charak­ter, noch in kog­ni­tiv­en oder psy­chol­o­gis­chen Kom­pe­ten­zen bei diesen Kindern abzeichnen.”

Ansätze Software: Stimulation der Reproduktion

Wenn wir uns das franzö­sis­che oder skan­di­navis­che Mod­ell anse­hen, bedarf es nicht unbe­d­ingt ein­er Hard­ware, wenn es um die Erhöhung der Geburten­rate geht. In Frankre­ich zum Beispiel stim­ulieren sig­nifikante finanzielle Anreize und aus­re­ichend Kinder­be­treu­ungsange­bote die Repro­duk­tion. Skan­di­navien bietet ein umfan­gre­ich­es Ange­bot der Kinder­be­treu­ung, was eben­so die Erhöhung der Geburten­zahlen bewirkt. In Israel sind Kinderkrip­pen und Kindergärten in Fir­men inte­gri­ert. „Man kann mir nicht erzählen, dass so etwas nicht in Öster­re­ich mach­bar wäre. Es ist nur eine Frage des Geldes und abso­lut nichts anderes, ein Soft­wareprob­lem”, sagt Djeras­si. Was die frühe und lange Tren­nung der Eltern und Kinder bet­rifft erk­lärt Djeras­si: „Das soziale Ver­hal­ten wird in öffentlichen Kinder­be­treu­ungsange­boten genau­so geschult und soziale Beziehun­gen wer­den hier eben­so etabliert wie in der Fam­i­lie. Und das ist sehr wichtig, vor allem in geri­atrischen Län­dern, in Fam­i­lien mit nur noch ein bis zwei Kindern.” Fol­gen­des find­et er sehr bemerkenswert und sin­nvoll: „Das Skan­di­navis­che Mod­ell bindet den Mann vielmehr in die Betreu­ung der Kinder ein, wie zum Beispiel eine verpflich­t­ende Vaterkarenz. Und so etwas kann über Nacht in Öster­re­ich gemacht wer­den, was einen Effekt haben würde”, meint Carl Djerassi.

Carl Djeras­si bemerkt abschließend, dass, unab­hängig von den Anreizen, die man Frauen gibt, um Kinder zu gebären, sich den­noch das Kinderkriegen nach hin­ten ver­schiebt. In Bezug auf Öster­re­ich urgiert er, die Empfehlun­gen der Öster­re­ichis­chen Bioethikkom­mis­sion zu imple­men­tieren. Und wenn es darum geht, rasch zu han­deln, stellt sich für ihn die Frage, „was am ein­fach­sten einzuführen ist.” Hier beste­ht für Djeras­si kein Zweifel: Kinder­be­treu­ung­sein­rich­tun­gen wie Kinderkrip­pen, Kindergärten, Horte etc. „und das ist ein rein finanzielles Prob­lem.” Er plädiert für nach­haltige, kleine Schritte, die sein­er Mei­n­ung nach „enorme Kon­se­quen­zen mit sich bringen.”

Zitate:

  • „Die Pille für einen nationalen Selb­st­mord ver­ant­wortlich zu machen, ist kom­plet­ter Unsinn, außer­dem ist es eine große Belei­di­gung für Frauen.”
  • „You need two 2,1 chil­dren per fam­i­ly to repro­duce yourself.”
  • „But we pay very lit­tle atten­tion to pre­ven­tive medicine.”
  • „I think it’s embar­rass­ing the behav­ior in Aus­tria when it comes to smoking.”
  • „In the last 50 years of the last cen­tu­ry, the leit­mo­tiv in repro­duc­tion was con­tra­cep­tion. The leit­mo­tiv in the geri­atric world now is con­cep­tion, and per­haps infec­tion, if we are talk­ing about sex­u­al­ly trans­mit­ted diseases.”
  • „But I said that the absolute cement for a fam­i­ly is: they want the child.”
  • „Wir müssen real­is­tisch bleiben, denn wir reden über Vorschläge für die Regierung. Wenn wir ein Ausster­ben der Bevölkerung akzep­tieren und die Regierung diesen Ansatz proklamiert, wird sie nicht wieder gewählt wer­den. Es hat keinen Zweck darüber zu disku­tieren, auch wenn man mit dieser Prog­nose richtig liegen würde.”