6 Thesen zur Technikverdrossenheit

Zu wenige Men­schen inter­essieren sich für Tech­nik. Stimmt diese oft getätigte Aus­sage? Dazu sechs Thesen.

Bis Ende der 2020er Jahre kön­nten in Deutsch­land bis zu 390.000 Inge­nieurin­nen und Inge­nieure fehlen. Mit dieser Bemerkung ließ der VDI-Präsi­dent Udo Unge­heuer auf  dem 27. Deutschen Inge­nieurtag im Mai aufhorchen. Auch in Oberöster­re­ich wird immer wieder der Man­gel an Tech­nikerin­nen und Tech­nikern beklagt.

Auch wenn viele ver­ant­wortliche Akteure es schaf­fen, das Prob­lem pos­i­tiv zu for­mulieren („Wir brauchen mehr Tech­nikbegeis­terung“), so ist doch ab und an auch reflexar­tig von „Tech­nikver­drossen­heit“ die Rede. Wenn diese „Analyse“ uns berechtigter­weise zu ein­fach erscheint, so fol­gt doch die Frage, welche Teil­wahrheit­en uns helfen kön­nen, die Sit­u­a­tion dif­feren­ziert­er zu betrachten.

Da „Tech­nikver­drossen­heit“ kein neues Schlag­wort ist und zumin­d­est Ende der 70er, Anfang der 80er auch schon tiefer the­ma­tisiert wurde, müsste man die Aus­gangs­frage der Diskus­sion so formulieren:

Gibt es tat­säch­lich eine aktuelle, ein­stel­lungsmäßige, tech­nolo­giekri­tis­che, teils ratio­nale aber auch teils irra­tionale Tech­nikver­drossen­heit, die uns im Weg ste­ht? Dazu fol­gende Wahrnehmungen und die daraus abgeleit­eten Thesen:

6 Wahrnehmungen und 6 Thesen

Wahrnehmung 1: Die Wirtschaft in den deutschen Indus­tri­ere­gio­nen hat – wie auch in OÖ – ganz ein­fach einen beson­deren Schw­er­punkt bei Tech­nik, Maschi­nen­bau, etc. und bräuchte mehr Absol­ventin­nen und Absol­ven­ten als es eine „nor­male“ durch­schnit­tliche Inter­essen­lage ein­er (Arbeits-)Bevölkerung hergibt.

These 1: Das heißt, der Man­gel an Absol­ventin­nen und Absol­ven­ten erk­lärt sich nicht durch eine spezielle Tech­nikver­drossen­heit, der Bedarf ist ein­fach über­durch­schnit­tlich.

Wahrnehmung 2: Es kommt zu einem Imagev­er­lust in den tech­nis­chen Berufen, aber auch ganz all­ge­mein: Mehr Absol­ventin­nen und Absol­ven­ten mit höher­gr­a­di­ger Aus­bil­dung führen in ein­er Rück­kop­plung zu einem teil­weisen Wer­tigkeitsver­lust der­sel­ben. Zudem sehen sich Studier­willige mit ein­er gerin­geren Abschlussquote in den tech­nis­chen Fäch­ern konfrontiert.

These 2: Das heißt, die zu geringe Absol­ventin­nen- und Absol­ven­ten­zahl ist weniger auf eine Tech­nikver­drossen­heit zurück­zuführen als vielmehr auf gesellschaftliche Real­itäten und Real­itäten des Studi­ums und der Arbeitswelt.

Wahrnehmung 3a: Massen­pro­duk­tion und Minia­tur­isierung brin­gen es mit sich, dass Benutzerin­nen und Benutzer immer weit­er in die Rolle des Nur-Kon­sumenten gedrängt wer­den. Beschäf­ti­gung mit der „Tech­nik der Tech­nik“ in Gestalt von Verän­derun­gen und speziell Reparatur von Geräten ist immer weniger möglich, ökonomisch sin­nvoll, und – so scheint es – nicht gewollt. Über den Aspekt von Nach­haltigkeit und Ressourcenscho­nung hin­aus wäre es sin­nvoll, Geräte so zu bauen, dass der End­kunde noch daran herum­schrauben kann! Die ver­gold­ete Spitze ein­er Pyra­mide (Tech­nis­che Entwick­lungsabteilung) braucht auch eine bre­ite Basis proak­tiv­er User.

Wahrnehmung 3b: Die Tech­nik wird immer kom­plex­er. Und mit dem Weit­er­vo­ran­schieben der Gren­ze des Mach­baren wird auch die (Hemm-)Schwelle mitver­schoben, bei der eine Chance auf eine erfol­gre­iche Beschäf­ti­gung mit der Materie wahrgenom­men wird (Par­tizipa­tion­s­möglichkeit). In dieser Sit­u­a­tion wird es auch immer schwieriger ein­fach nur den Stand zu hal­ten. Möglicher­weise bräuchte es mehr Ange­bote ein­er Step-by-step-Her­an­führung auf ver­schiede­nen Ebe­nen (also nicht nur Schulen).

These 3: Das hieße, eine „Tech­nikver­drossen­heit“ ist weniger eine Ein­stel­lungssache als vielmehr eine Hilflosigkeit.

Wahrnehmung 4a: Immer weit­er ver­fein­erte Tech­nik wird zunehmend als alltäglich / selb­stver­ständlich begrif­f­en, das Empfind­en von Fasz­i­na­tion kommt abhanden.

Wahrnehmung 4b: War ganz früher Tech­nik noch über­wiegend Lebens-Not-wendig, so dehnt sich heute das Spek­trum immer weit­er Rich­tung „Luxus“ aus. Von „nach wie vor leben­snotwendig“ über „echt hil­fre­ich im All­t­ag“ geht es oft schon zu „net­ter Gim­mick“. Und bei der Pro­duk­t­präsen­ta­tion der neuesten Geräte­gen­er­a­tion fra­gen sich alle dann: Wo ist da die echte Innovation?

These 4: Das heißt, es geht eher um eine Tech­nikmüdigkeit, welche aber auch nicht auf eine ver­schlechterte Ein­stel­lung zurückgeht.

Wahrnehmung 5: Es gibt tat­säch­lich die Ten­denz, dass Werte und Ziele mit fortschre­i­t­en­dem Wohl­stand und zunehmender Tech­nisierung sich ver­schieben zu mehr Men­schlichkeit, Fam­i­lie, Soziales, Freizeit etc.

These 5: Das heißt, es gibt so etwas wie „Tech­nikver­drossen­heit“, welche aber nicht auf eine ver­schlechterte Ein­stel­lung gegenüber der Tech­nik, son­dern auf eine Ver­schiebung der Werte Rich­tung Beziehun­gen, Soziales etc. zurück­zuführen ist.

Hier­bei geht es nicht darum, sich für eine oder mehrere The­sen zu entschei­den. Jede einzelne stellt einen eige­nen Blick­winkel dar, der einen nüt­zlichen Impuls für weit­erge­hende Diskus­sio­nen liefern könnte.

Zur Person

Joachim Gräs­er ist im Rah­men eines AMS-Pro­jek­tes Mitar­beit­er bei ACADEMIA SUPERIOR.

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